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Die Konkubine des Erzbischofs

Die Konkubine des Erzbischofs

Titel: Die Konkubine des Erzbischofs
Autoren: Stefan Blankertz
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der Richter aller Welt nicht gerecht richten?«
    »Was aber antwortete Gott?« fragte Magister Albertus, um gleich selbst die Antwort zu geben: »Um der fünfzig Gerechten willen werde ich ihretwegen dem ganzen Orte vergeben. Nein, auch um vierzig Gerechter willen werde ich es tun. Nein, auch für dreißig würde ich allen vergeben. Für zwanzig, ja schließlich für zehn! – Und was macht unser Bruder Emund? Er dreht die Sache herum und behauptet, Gott könnte eine Stadt um eines einzigen Sünders willen vernichten! Wie gut, dass Bruder Emund ein sündiger Mensch ist und kein – Gott.«
    »Wir alle sind doch Sünder«, warf ich ein.
    »Es geht nur um solche Sünden, die den Herrn dermaßen vor Zorn überfließen lassen, dass er unverzüglich zum Blitze greift«, belehrte mich Magister Albertus. »Das ist allerdings sowieso eine eitle Disputation. Wir haben ja den neuen Bund und unser Herr Jesus Christus hat uns versprochen, kein Strafgericht mehr zu halten, ausgenommen das jüngste Gericht.«
    »Ihr ratet mir«, brachte ich das Gespräch nun zurück auf meine Ausgangsfrage, »meiner Mutter gehorsam zu Willen zu sein und nach Paris zu gehen?«
    »Ja, unser Sohn«, bestätigte Magister Albertus. »Gehe mit unserem Segen.«
    »Meine Mutter sagte«, fügte ich kleinlaut hinzu, »dass Ihr mit dem Herrn Abt sprechen könntet, damit ich die Erlaubnis dazu bekomme.«
    »Herr Wido«, sagte Magister Albertus, »ist streng, aber gerecht. Wir werden es ihm auf die angemessene Weise erklären. Du wirst, unser Sohn, den Novizen Gerhard mit auf den Weg nehmen. Er ist fünfzehn Jahre alt und kräftig. Ein Waisenjunge, der hier im Kloster aufgewachsen ist und die Welt nicht kennt. Wir wollen nicht, dass er das Gelübde ablegt, bevor er nicht herausgefunden hat, ob er ein Leben in Keuschheit verbringen möchte. Dränge ihn nicht dazu, wir möchten, dass er die freie Entscheidung bekommt.«

    »Eine ehrenvolle Aufgabe«, sagte ich demütig, denn mir war nicht wohl bei dem Gedanken, einen unwissenden, vom süßen Klosterleben völlig verdorbenen und womöglich aufsässigen Jungen als Begleiter dulden zu müssen.
    »Was deine Haltung zur stummen Sünde angeht«, sagte Magister Albertus weiter und griff nach einigen Seiten Pergament, die sich auf seinem Tisch befanden, »so gebe ich dir dies mit: Die Antwort unseres jüngst verstorbenen Schülers Thomas von Aquin auf die Frage, ob Jungfräulichkeit verboten sei.«
    »Verboten?«, fragte ich ungläubig. Dieses Traktat des Thomas war mir nicht geläufig und ich konnte mir nicht vorstellen, wie er eine solch überaus gotteslästerliche Frage überhaupt gedacht haben konnte.
    »Ja, unser Sohn, du hast richtig gehört: verboten«, bekräftigte Magister Albertus und kniff den Mund zusammen. »Die Frage stammt aus der Summe der Theologie, die Bruder Thomas nicht mehr vollenden konnte, weil es dem Herrn gefiel, ihn vorher zu sich zu nehmen. Wir sind überglücklich, dass wir Teile aus dem unfertigen Werke lesen können. So nimm jene Seiten an dich. Es ist sozusagen ein Rätsel, das dich auf deinem Wege begleiten soll, denn es ist nicht leicht zu erkennen, inwiefern sich das Gesagte auf die stumme Sünde beziehen lässt.«
    Ich nahm das dargebotene Pergament und wollte mich dankbar verabschieden, Bruder Albertus aber war unvermittelt ins Gebet oder in den Halbschlaf verfallen. So begab ich mich in meine Klause, um dort vor der Vesper eine Weile für mich selbst beten zu können. Nach der Vesper, bei dem gemeinsamen Mahl, nahm ich Gerhard, den Novizen, in Augenschein und fand meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Herr Wido gab mir nun in der Tat den Auftrag, mit dem Novizen Gerhard einen Monat auf Wanderschaft zu gehen, damit er sich prüfen könne, bevor er Gott ewige Jungfräulichkeit gelobe.

    In der Nacht aber flog eine strahlend weiße Taube an mein Lager und sprach: »Fürchte dich nicht! Es geschah im Jahre des Herrn 1253, dass ein junger Archdiakon zu Luik die Gottesmutter anrief. Er war einer schweren Sünde erlegen. Darum erbat er von der Gottesmutter die Gnade, den Glauben an ihren Sohn, seinen Herrn und Bruder, mit der Macht des Schwertes stärken zu können. Der Herr jedoch verbietet, dem Glauben mit dem weltlichen Schwerte beizustehen, weil die Gläubigen nur das geistige Schwert führen dürfen. Also antwortete ihm nicht unsere gebenedeite liebe Frau, sondern der Teufel in holder Gestalt, auf dass der Archdiakon geblendet werde. Der Teufel gab ihm die weltliche Macht, die
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