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Die Komplizin - Roman

Die Komplizin - Roman

Titel: Die Komplizin - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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außer mir niemand seltsam zu finden schien. Endlich waren die Letzten am Aufbrechen. Sie verstauten ihre Instrumente, sammelten ihre Notenblätter ein und sprachen über die nächste Probe. Sonia ging als Erste, Neal als Letzter. Ohne auf seine halb drohenden, halb flehenden Blicke zu achten, schob ich ihn hinaus und zog mit einem Seufzer der Erleichterung die Tür hinter ihm zu. Dann stellte ich mich zum dritten Mal an diesem Tag unter die Dusche. Natürlich kam mal wieder nur kaltes Wasser, was mich aber nicht störte, weil ich so schwitzte und mich so schmutzig fühlte, als hätte ich den ganzen Tag im abgasverpesteten Verkehrsgewühl der Stadt verbracht. Ich legte den Kopf zurück und ließ das Wasser über Gesicht, Schultern und Bauch laufen. Während ich ganz vorsichtig meinen Hals massierte und die orangebraune Paste wegrieb, hörte ich das Telefon klingeln. Anschließend wusch ich mir noch einmal die Haare und ließ mich dann auf dem Boden der Duschwanne nieder, um mir die Beine zu rasieren und sowohl die Fingerals auch die Zehennägel zu schneiden.
    Nun fühlte ich mich schon viel besser, und ein Blick in den Spiegel sagte mir, dass ich auch gar nicht mehr so schlimm aussah. Die Stelle am Hals war zwar geschwollen und deutlich sichtbar, aber keineswegs so dramatisch blau-schwarz erblüht, wie ich befürchtet hatte, sondern eher schmutzig gelb. Obwohl meine Rippen höllisch schmerzten, konnte ich mich aufrecht halten. Alles in allem sah ich mitgenommen aus, aber nicht wirklich besorgniserregend. Nachdem ich zu diesem Ergebnis gekommen war, schlüpfte ich in ein übergroßes Hemd, machte mir eine Tasse Kräutertee und legte eine Joni-Mitchell-CD
ein. Ich setzte mich aufs Sofa, das immer noch am Rand des Raums stand, und schloss die Augen. Das Telefon klingelte erneut, was ich jedoch ignorierte. Ich ließ meinen Kopf ganz von der Musik ausfüllen.
    Mein Leben lang war ich stolz darauf gewesen, eine starke und unabhängige Person zu sein. Sogar Neal hatte mich heute als starke Frau bezeichnet, wenn auch mit einem bitteren Unterton. Und auch Hayden hatte mich in den vergangenen Wochen des Öfteren so bezeichnet, und zwar immer voller Bewunderung, als würde ihn das erregen. Nachdem ich als Kind miterleben musste, wie mein Vater meine Mutter tyrannisierte, hatte ich mir eigentlich geschworen, dass mir so etwas nie passieren würde. Stark zu sein bedeutete manchmal, cool zu sein, und um unabhängig zu bleiben, musste man sich hin und wieder ein wenig abseits halten. Amos hatte sich oft darüber beschwert, dass ich mich nie ganz auf etwas einließ, und vielleicht lag er da sogar richtig. Möglicherweise war das der Grund, warum wir am Ende getrennte Wege gingen. Ich wusste es selbst nicht so genau, aber es spielte ja ohnehin keine Rolle mehr, denn das mit Amos und mir war endgültig vorbei. Er liebte jetzt Sonia, und in meiner Erinnerung begann unsere Beziehung bereits zu verblassen. Ich konnte mich kaum noch entsinnen, wie es gewesen war, mit ihm zusammen zu sein. Wenn ich Amos jetzt sah, fand ich es fast ein wenig erstaunlich, dass wir einmal Leidenschaft füreinander empfunden hatten. Wie war das möglich?
    Hayden aber hatte mich mit meinen eigenen Waffen geschlagen. Wo ich unabhängig war, war er distanziert. Wo ich Bedenken wegen zu viel Nähe hatte, entwickelte er eine regelrechte Phobie. Ich wollte frei sein, er noch freier. Für ihn bedeutete Freiheit, Anker und Ruder zu verlieren und sich vom Wind davontragen zu lassen. Ein unheilvoller Wind hatte ihn in mein Leben geweht, und ein unheilvoller Wind würde ihn wieder daraus vertreiben. Während ich nun so auf meinem
Sofa saß und Joni Mitchell von Liebe und Enttäuschung singen hörte, wurde mir klar, dass ich in der Beziehung mit Hayden eine für mich ungewohnte Rolle übernommen hatte: Diesmal war ich diejenige, die mehr Gefühl investierte und verliebter war  – diejenige, die verletzt und verlassen wurde.
    Er hatte mich zweimal geschlagen. Was ich mir jetzt wünschte und worauf ich wartete, war eine maßlose Wut, die alle anderen Emotionen verdrängen und keinen Platz mehr für Mitleid oder Bedauern lassen würde. Ich musste daran denken, wie sich sein Gesicht zu einer hässlichen Fratze verzog und seine Fäuste auf mich zukamen, aber sofort erinnerte ich mich auch wieder an sein anderes Gesicht  – klar und rein von Liebe zu mir.
    Als Joni Mitchell schließlich zum Ende kam, stand ich auf und ging ins Schlafzimmer, um erneut seinen Zettel zu
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