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Die Komplizin - Roman

Die Komplizin - Roman

Titel: Die Komplizin - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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lesen, auch wenn ich längst wusste, was darauf stand: »Ich würde dir gern ein paar Dinge erzählen, die ich dir schon längst hätte sagen sollen. Bitte lass uns reden. Bitte! Es tut mir leid. So schrecklich leid. H.« Ich starrte auf seine Schrift, als handelte es sich dabei um einen Geheimcode, den ich erst noch entschlüsseln musste. Draußen stand die Sonne bereits tief am Himmel, und das Muster aus Licht, das sie an die Zimmerdecke warf, erinnerte mich an Wasser. Während der Tag langsam in den Abend überging, läutete das Telefon ein weiteres Mal. Nachdem es wieder aufgehört hatte, hing eine unheilvolle Stille in der Luft.
    Schließlich zog ich mich an: eine hellblaue, an den Knien zerrissene Jeans, ein T-Shirt, eine dünne graue Jacke. Als ich das Haus verließ, spürte ich die warme Abendluft auf meinem Gesicht  – den Atem des Hochsommers.

Danach
    Als vor mir ein Blitz über den Himmel zuckte, begann ich zu zählen. Erst als ich bei elf angekommen war, hörte ich ein schwaches Donnergrollen. Demnach war das Gewitter noch elf Meilen entfernt  – oder zählte man da in Kilometern? Und wie war das überhaupt gemeint? Horizontal oder vertikal? Während ich vom Kanal abbog und die Camden Road hinaufging, landeten einzelne dicke Regentropfen wie kleine Bomben auf dem Asphalt, und die Leute rannten los, um Schutz zu suchen. Ich versuchte gar nicht erst, trocken zu bleiben, sondern ging in gemächlichem Tempo die Straße entlang weiter. Der Regen klatschte mir auf den Kopf. Schon bald schienen die einzelnen Tropfen zu verschmelzen, und es schüttete wie aus Kübeln. Genauso gut hätte ich in einen Fluss springen können. Oder in einen Stausee, dachte ich und schauderte, weil ich ein weiteres Mal jenes Bild vor Augen hatte, von dem ich genau wusste, dass ich es nie vergessen würde. Mein Haar tropfte, und meine Schuhe gaben beim Gehen schmatzende Geräusche von sich. In meinem Herzen aber wütete der Zorn.
    Da der Akku meines Handys leer war, suchte ich meine Wohnung auf, schälte mich aus meinen nassen Kleidern und rieb mich mit einem Handtuch trocken. Nachdem ich frische Sachen angezogen hatte, rief ich vom Festnetz aus an.
    »Ich muss dich unbedingt sehen. Ja, jetzt gleich. Bist du zu Hause. Allein? Gut. Bleib dort. Ich komme vorbei.«
     
    Sonia öffnete mir die Tür, ehe ich überhaupt dazu kam, auf die Klingel zu drücken. Ihr Haar war zu einem strengen Pferdeschwanz zurückgebunden, und sie wirkte sichtlich erschöpft. Sie hatte dunkle Augenringe, und ihre Haut schien über ihren Wangenknochen zu spannen. Wortlos trat sie beiseite, um mich hineinzulassen. Normalerweise trafen wir uns nie in ihrer
Wohnung. Sie kam entweder zu mir, oder wir verabredeten uns in Pubs, Cafés oder den Häusern anderer Leute. Inzwischen verbrachte sie natürlich die meiste Zeit bei Amos. Was nicht weiter überraschend war, denn sie selbst wohnte in einer deprimierenden Kellerwohnung, die nur ein paar Gehminuten von meiner entfernt war und große Ähnlichkeit mit einer feuchten, unterirdischen Höhle besaß. Ich hatte mich immer gewundert, wieso Sonia, die ihr Leben doch gut im Griff hatte und mit Geld so vorsichtig umging, dass man sie in einem altmodischen Sinn sparsam nennen konnte, nicht schon längst eine schöne Eigentumswohnung gehörte.
    »Möchtest du etwas zu trinken?«
    »Nein.«
    Ich setzte mich an ihren Küchentisch und verschränkte die Hände fest ineinander. Sonia nahm mir gegenüber Platz.
    »Was für ein scheußliches Wetter. Ich konnte mich nicht dazu durchringen, das Haus zu verlassen. Stattdessen habe ich mich auf das neue Schuljahr vorbereitet. In ein paar Tagen geht es ja wieder los.«
    Ich saß immer noch mit verschränkten Händen da. Statt wie sonst einfach loszuplappern, sprach ich kein Wort. Noch nicht.
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Bonnie. Das alles lässt sich nun nicht mehr ungeschehen machen. Es war ein Unfall. Das weißt du ja schon. Nichtsdestotrotz habe ich Hayden getötet. Und dich getäuscht. Es tut mir leid. Ich kann dir nichts anderes sagen, als dass es mir leidtut. Ich bedaure zutiefst, was ich getan habe, und ich bedaure deinen Verlust.«
    Ich sah sie an und wartete. Das Schweigen zwischen uns verdichtete sich. Als ich schließlich das Wort ergriff, tat ich das ganz langsam, fast als könnte ich jedes einzelne Wort in meinem Mund schmecken.
    »Mir geht so vieles im Kopf herum«, begann ich. »Immer wieder sehe ich sein Gesicht, sein totes, schönes Gesicht. Ich
erinnere
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