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Die Koenigin der Schattenstadt

Die Koenigin der Schattenstadt

Titel: Die Koenigin der Schattenstadt
Autoren: Christoph Marzi
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Schlimmes widerfahren? Er war bereits einmal das Opfer ihrer Fähigkeit geworden.
    Catalina zerriss es das Herz, wenn sie daran dachte.
    Wie dumm sie doch gewesen war! Alles, aber auch wirklich alles, hatte sie falsch gemacht!
    »Du musst nach vorne blicken.« El Cuento, der Wind, rauschte an ihr vorbei. Wie immer schien er zu ahnen, was in ihr vorging. »Malfuria ist in den anderen Winden verweht und nichts wird diesen Ort zurückbringen.«
    »Ich weiß«, murmelte Catalina. Überall in Lisboa waren die schwarzen Rabenfedern zu Boden gesunken. Gestern noch hatte sie geglaubt, dass nur der Sturm der Rabenfedern, der Agata la Gataza trug, die Macht besaß, sich den Schatten zu widersetzen. Und jetzt?
    Nein, sie wollte nicht länger darüber nachdenken, sonst würde das geschehen, was sie am meisten fürchtete. Sie würde schlichtweg aufgeben. Sie würde dieser furchtbaren Müdigkeit nachgeben, die ihr in den Knochen saß und die ihr leise zuflüsterte, sich einfach hinzusetzen und auf die Dunkelheit zu warten. Auf die Harlekine und ihre Umarmung.
    Aber genau dagegen musste sie sich mit aller Kraft wehren, denn sonst wäre alles umsonst gewesen, das wusste sie tief in ihrem Herzen. Nur wenn sie ihre Gabe ein letztes Mal nutzte, würde sie das wiedergutmachen können, was sie angerichtet hatte. Und ihre Großmutter würde ihr dabei helfen.
    Catalina bog hinter Márquez in die Rua de Sao Mamede ein. Der Schatten floss jetzt noch schneller den Weg hinauf, in Richtung des Castelo de Sao Jorge, das sich hoch über der Alfama befand. Klirrende Mosaikeidechsen rannten flink davon, wenn sie ihre Schritte vernahmen. Pflanzen mit hellen Blüten und dornigen Armen krochen wie kleine Tiere in den Schutz der Mauerritzen, weil sie spürten, wie die Schatten in die Stadt kamen. Aufgeregte Menschen, die mühselig ihr karges Hab und Gut geschultert hatten, liefen kopflos in alle Richtungen.
    Blindlings folgte Catalina dem alten Kartenmacher den Berg hinauf, und als sie den Largo das Portas do Sol auf der Anhöhe über der Alfama erreichten, da wurde ihr das ganze Ausmaß der Katastrophe bewusst, die gerade über Lisboa hereinbrach.
    Die Tejo-Mündung erstreckte sich vor ihnen in der Dunkelheit und die verloren wirkenden Positionslichter der vielen Schiffe, die zu fliehen versuchten, waren kaum mehr als Nadelstiche in der Finsternis, die sich wie Schweigen über alles und jeden zu legen schien.
    Wie angewurzelt blieb Catalina stehen. Die schwarzen Galeonen, die dort unten in der Luft schwebten, waren so groß, dass es ihr schier den Atem raubte. Manche von ihnen sahen aus, als habe man auf einem Schiff von der Größe eines ganzen Stadtteils eine gewaltige Festungsanlage mit hohen Mauern und schrägen Türmen und spitzen Zinnen errichtet. Die Segel waren weit wie der Himmel und das Dröhnen der Gebläsemaschinen, die riesig wie Fabriken waren und hungrig wie Kraken aussahen, erfüllte die Luft.
    »Die Armada der Schatten«, flüsterte Catalina.
    Márquez nickte. Seine Hand deutete auf die Fäden der Meduza, die den Himmel verhängten und die Stadt umschlossen. »Die Dunkelheit ist gekommen, um Lisboa zu erobern. Aber die Armada, die Schiffe des Hauses Karfax, sie sind auf der Suche nach dir.«
    Catalina zitterte und mit beiden Händen hielt sie sich an einem eisernen Geländer fest. »Sie sind wegen mir nach Lisboa gekommen«, flüsterte sie und ihre Stimme war kaum mehr als ein Krächzen. »All diese Schiffe sind gekommen, um mich zu holen.« Die Gewissheit, dass dies so war, raubte ihr die Stimme. Wer war sie denn, dass sie eine solche Armada schickten, um sie zu fangen?
    »Da, schau!«
    El Cuento sah sie zuerst.
    »Wie wunderschön!«, murmelte Catalina.
    Die gleißenden Zeppelinschiffe der Stadtwache von Lisboa waren von den Flughäfen aufgestiegen und feuerten spitze Kanonen aus Licht und Blitzen auf Bairro Alto und Estrela. Todesmutig näherten sie sich den Fäden der Meduza, die mächtig wie Quallen aus dunklen Wolkenfetzen ihre Tentakel in die Fluten des Tejo tauchten, wo sie die Schiffe zum Kentern brachten und die Flugmaschinen, die über den Wassern dahinglitten, zum Absturz zwangen.
    »Sie werden nicht viel gegen sie ausrichten können«, stellte der alte Kartenmacher fest.
    Unten am Flussufer krochen die ersten Meereskreaturen aus den Fluten und schleppten sich, den Schatten in ihrem Inneren folgend, an Land, wo sie die schreienden und in verzweifelter Panik in fast alle Himmelsrichtungen fliehenden Menschen anfielen. Jedes
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