Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Koenigin der Schattenstadt

Die Koenigin der Schattenstadt

Titel: Die Koenigin der Schattenstadt
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
die Flucht geglückt.
    »Was ist passiert?«, fragte sie. »Was ist damals mit Ihnen passiert? Und was ist jetzt anders?«
    Das war es, was sie wirklich beschäftigte.
    »Erinnerst du dich an den Harlekin?«, fragte Márquez. »Wenn ein flüsternder Schatten einem Menschen in die Augen fließt, dann verändert sich alles. Das, was der Mensch einmal gewesen ist, wird aus dem Körper vertrieben und der kalte Schatten des Flüsterers nistet sich dort ein.« Er waberte tonlos und kühl an den weißen Hauswänden entlang und auf dem Kopfsteinpflaster einen kleinen Hang hinauf. »Der Schatten aber, der trennt sich in diesem Moment von seinem Körper.«
    »Wie meinen Sie das?« Catalina verstand nicht, was genau er ihr sagen wollte.
    Er lachte und es klang wie die kühle Dämmerung, die auf uralte Steine tropft. »Ich bin das, was vom alten Arcadio Márquez geblieben ist. Ich bin all seine Erinnerungen, all seine Gefühle, all das, was einst den Körper zum Menschen machte. Aber ich bin nicht Arcadio. Ich bin der Schatten, der sein stetiger Begleiter gewesen ist.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    Der Schatten des alten Márquez nickte. »Nicht einmal ich verstehe es.«
    Er wollte etwas hinzufügen, doch plötzlich hielt er inne, horchte.
    Gleich darauf streifte der sanfte Wind aufgeregt Catalinas Gesicht. »Die schwarze Armada«, hauchte El Cuento besorgt. »Sie beginnt die Stadt mit Dunkelheit zu beschießen.«
    Catalina blieb stehen.
    Wie leiser Kanonendonner klang es, gedämpft und zischend. In der Ferne, tief unten in der Baixa und drüben in Bélem, hallten die Schreie der Menschen.
    »Schneller!«, drängte Márquez erneut. Doch bevor sie sich wieder in Bewegung setzen konnten, ließ etwas Großes die Erde unter ihren Füßen erzittern.
    Ein Beben kam über die Stadt, so laut knirschend und bröckelnd kreischend wie jene Erschütterung in dem wunderschönen Stadtteil Barcelonas, den Catalina mit einer winzigen Bleistiftzeichnung auf einem Holztisch zerstört und verändert hatte.
    »Was war das?« Sie schwankte, versuchte ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Die vielen Zöpfe, die ihr wild und zottelig vom Kopf abstanden, schaukelten unruhig mit jedem Wort hin und her.
    El Cuento sauste hoch in die Nacht hinaus und lugte über die flachen Dächer hinweg. Dann kehrte er wieder zu dem Mädchen zurück. »Ein Wolkenfetzen aus tiefster Nacht ist zur Erde gestürzt«, wehte er ihr ins Ohr. »Drüben zwischen Avenida und der Alfama liegt er zwischen den Häusern und seine Fäden schlängeln sich durch die Stadt. Wir müssen einen neuen Weg einschlagen!«
    Catalina teilte dem Kartenmacher mit, was der Wind ihr gesagt hatte.
    »Das wird uns wertvolle Zeit kosten.« Márquez waberte unruhig hin und her.
    »Aber es gibt doch eine Möglichkeit, zu diesem Brunnen zu kommen?«
    Er nickte langsam und schwebte wie ein ganz gewöhnlicher Schatten an der Wand. »Wir müssen zum Castelo de Sao Jorge gelangen, von dort führt ein Pfad hinab in die alte Stadt.« Er seufzte und es klang wie ein Laut, der aus den Tiefen eines Brunnenschachts dringt. »Wir dürfen Nuria Niebla nicht verpassen. Du bist die Einzige, die ihr helfen kann bei dem, was sie vorhat. Das hat sie gesagt.«
    Catalina schwieg.
    Ja, sie sehnte sich danach, ihre Großmutter endlich zu treffen, jemanden, dem sie vertrauen konnte, der all ihre Fragen beantworten konnte, die sie quälten, seit Tagen schon. Aber sie fürchtete sich gleichzeitig davor. Denn das, was Nuria von ihr verlangen würde, hatte schon zu vielen das Verderben gebracht.
    Catalina hatte am eigenen Leib erfahren, zu was sie fähig war. Nur ein einziger Federstrich aus ihrer Hand genügte, um schnell wie ein Sternschnuppensturz ganze Stadtteile zu zerstören. Wenn sie zeichnete, dann war alles möglich. Dann konnte sie verändern, was immer ihr beliebte.
    Aber sie wusste jetzt auch, dass man für die Magie, die ihr wie ein Lied aus den Fingern floss, immer einen Preis zahlen musste. Denn demjenigen, der einem am nächsten stand, wurde ein schlimmes Schicksal zuteil, wenn man die Magie nutzte. Das war der Preis, den die Magie verlangte, wenn sie einem zu Diensten war.
    Und wieder fragte sich Catalina angstvoll, was die Magie für das, was sie diesmal getan hatte, von ihr einfordern würde. Voller Wut hatte sie Malfuria gezeichnet und vernichtet, mit so wenigen Strichen nur, dass es ihr rückblickend wie ein furchtbarer Traum erschien. Doch wer musste nun den Preis zahlen? Würde Jordi Marí erneut etwas
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher