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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin
Autoren: Franz-Josef Körner
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das wütende Brüllen des Sturms und roch das Salz der fliegenden Gischt.

2
    Teufel auf der Schulter
    W ährend der Sturm sich daran versuchte, die Klostermauern einzureißen, malte ich mir meine Strafe aus. Es gab einige Möglichkeiten, von denen ich keine bevorzugte, denn alle hatten mit Beten und Knochenarbeit zu tun.
    Die Nacht im Dormitorium war angefüllt mit Geräuschen. Für jemanden, der nicht schlafen konnte, sondern nachdachte, waren sie lauter als jene am Tag. Das Ächzen der Dachbalken, das Heulen des Sturms. Das Schlurfen nackter Füße auf dem strohbedeckten Boden beim Gang zum Abtritt im Holzeimer in der Ecke. All dies begleitet von der Musik eines tobenden Meeres und wütender Winde.
    Die häufigste und unangenehmste Strafe bestand im Auskratzen des Mooses, das in allen Ritzen des Gemäuers wucherte und auf dem schmalen gepflasterten Weg, der vom Refektorium zum Herbarium führte. Schutzlos Wind und Regen ausgeliefert, galt es, mit gebücktem Rücken einen Tag lang – an dem man selbstverständlich die Mahlzeiten versäumte, nicht aber die Stundengebete – Moos zu schaben und dabei ohne Unterlass zu beten. Kaum hegte ich Zweifel, dass ich mit dieser Beschäftigung den folgenden Tag und die halbe Nacht verbringen würde.
    Am Morgen flaute der Sturm ab, Sonnenstrahlen zerschnitten den Windhimmel, und die Regenschleier wanderten über die Insel nach Osten. Ein vollkommener Regenbogen spannte sich über das Meer. Kein Wunder, dass niemand je den Topf mit Gold gefunden hatte. Er lag ja auf dem Grund des Ozeans.
    Die Laudes verbrachte ich angespannt, mit den schwarz bemäntelten Rücken der Schwestern wie ein feindliches Heer vor mir. Die Psalmen, sonst ein beruhigendes Murmeln, klangen an diesem Morgen drohend und unheilverkündend. Mein Urteil würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Vermutlich würde man mich vor dem Mooskratzen noch dabei helfen lassen, den vom Sturm verwüsteten Klosterhof aufzuräumen.
    Doch dann kam alles ganz anders.
    Wir sangen die letzten Zeilen des Psalms achtunddreißig, als es geschah.
Eile mir zu helfen mein Herr, Du meine Rettung!
– Und diese Zeilen sang ich mit Inbrunst, auch wenn ich nicht glauben mochte, Gott könne mich jetzt noch vor meiner Strafe retten. Doch wer anders als der Herr persönlich hätte jenen Boten in einer solchen Sturmnacht übers Meer geschickt, damit er den Besuch Williams, des Bischofs von Orkney, hinausschrie.
    »Höret ihr Schwestern! Hiermit verkünde ich die baldige Ankunft seiner Exzellenz des hochwürdigen Herrn, Bischof William des Dritten, der den ehrwürdigen Schwestern vom Ordo Sancti Benedicti noch am heutigen Tage die Ehre seines gnädigen Besuchs erweisen wird.« Er wurde nicht müde, dies wieder und wieder über den Klosterhof zu brüllen, bis seine Stimme sich zuerst überschlug und dann in einem Krächzen ganz erstarb – und bis auch noch die letzte Nonne aus der Kapelle geeilt war, um den Schreihals zu begutachten und sich die Richtigkeit seiner Meldung bestätigen zu lassen. Auch wollte zunächst niemand glauben, dass er bei diesem Wetter in der Nacht tatsächlich übers Meer gekommen war. Doch kein Zweifel, ein Schiff mit dem Wappen des Bischofs, das neben dem Orkneystab ein Eissturmvogel zierte, schaukelte in dem kleinen Hafen.
    »Der hochwürdige Herr Bischof William«, wiederholte Äbtissin Matilda schließlich kreidebleich, während ihr Blick hektisch über das Klostergelände schweifte. Es war nicht schwer, die Gedanken hinter ihrer Stirn zu lesen. Der Sturm hatte den Hof in ein wahres Schlachtfeld verwandelt. Zersplitterte Dachziegel, Äste und Blätter lagen wild verstreut, Wind und Regen hatten die Beete im Herbarium verwüstet und die Erde auf den Weg geschwemmt. Ein Teil der Holzabdeckung über den Latrinen war auf den Brunnen herabgeweht worden.
    Äbtissin Matilda wandte sich ihren Schwestern zu und murmelte verzweifelt: »Schnell, schnell, an die Arbeit.«
    Gerade wollte ich mich den Nonnen anschließen, um Besen und anderes Reinigungszeug zu holen, da hielt mich die Äbtissin zurück.
    »Du nicht Cailun.«
    Unschlüssig blieb ich stehen.
    »Geh in die Küche«, befahl sie. »Lass dir ein scharfes Beil geben und geh damit zum Schafstall.«
    Ich wartete.
    »Wir werden dem hochwürdigen Herrn Bischof ein Festmahl auftischen. Du schlachtest das Lamm.« Äbtissin Matilda blickte mich an. Ich glaubte, Genugtuung in ihren Augen zu lesen. Freundlich, als gelte es ein Lob auszusprechen, fuhr sie fort: »Und wage
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