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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin
Autoren: Franz-Josef Körner
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wölbten sich über Wirbel, Hände, Arme und Schultern rückten an den vorbestimmten Platz, schließlich rollte der Kopf auf den Hals, und das Gebiss klapperte zur Probe. Gleich würden sich die Finger um den Kistenrand klammern, die Arme den Knochenmann in den Sitz stemmen und die Gebeine des Donnan von Eigg schaurig rasselnd aus dem Sarg klettern. Schließlich war er ein Heiliger, hatte zu Lebzeiten mit Fleisch und Blut Wunder vollbracht, warum also nicht auch dies, ohne irdischen Ballast.
    Das Rascheln verstummte, ein Stoß gepressten Atems zischte aus meinem Mund. Mit einem Mal schwebte ein schmaler Lichtstreifen fahl durch die schießschartenartige Fensteröffnung auf der dem Hof abgewandten Seite. Ich hob den Kopf dorthin, der Mond war aufgegangen, eine bleiche Halbkugel, die von Wolken gejagt und nun wieder verschlungen wurde. Der schwache Lichtschein hatte genügt. Des Märtyrers Gebeine lagen unverändert im Kasten, der graue Schatten einer Ratte huschte hinter den Altar.
    Der Wind wuchs zum Sturm und erstickte die Gesänge der Mönche. Oder waren sie schon gegangen? Es gab kein Fenster zum Klosterhof. War es schon Mitternacht oder gar noch später? Ich erhob mich von meinem Schemel, tastete mich nach vorn und ließ mich voller Trotz auf Matildas Betstuhl nieder. Doch die Genugtuung, den hoheitlichen Platz zu besetzen, blieb aus. Die Wut stieg in mir hoch. Ich hatte doch nichts verbrochen! War es ein so schweres Vergehen, sich den eigenen Vater herbeizuwünschen? Musste man mich für diese Sehnsucht ein unschuldiges Lamm metzgern lassen, um mich dann mit einem schrecklichen Knochenhaufen in die Dunkelheit zu sperren? Meine Wut steigerte sich immer mehr. Bald tanzten meine Fäuste auf der Armauflage des Stuhls, dort, wo sonst betende Hände ruhten, hämmerten meine Knöchel auf das Holz, während meinen Lippen Flüche entwichen, von denen ich vorher nicht einmal gewusst hatte, dass es sie gab. Als ich spürte, wie etwas Warmes meine Hände hinabrann, hielt ich inne. Ich wischte das Blut dort ab, wo Äbtissin Matilda die Ellbogen auflegte, wenn sie aus dem Psalter vorbetete. Sollte sie sehen, was sie angerichtet hatte, schließlich war sie schuld!
    Nun verharrte ich wieder. Kein Laut erklang draußen, außer dem Rauschen des Windes und dem Geprassel des Regens von einem durchziehenden Schauer. Hatte der Regen die Dauer des Festschmauses verkürzt, oder war der Weinkrug leer oder das Essen zur Neige gegangen? Sicher, mein Lämmchen war wohl genauso schnell verschlungen worden wie später seine Knochen von den Wolfshunden. Die Schwestern gingen normalerweise mit dem letzten Tageslicht zu Bett, galt es doch, bald wieder zum Gebet aufzustehen. Die Hoffnung, man würde mich zur Nachthore aus meinem Gefängnis befreien, keimte auf. Doch weder die Mönche noch der Bischof waren bekannt dafür, dass sie sich von den Horen vom Essen und Trinken abhalten ließen. Im Gegenteil, dann galt der Grundsatz, auf Reisen ist es einem Mönch erlaubt, Gebete auszusetzen, falls es die Umstände verlangen – und schließlich befand man sich auf Reisen, ganze zwei Steinwürfe lag das Mönchskloster vom Nonnenkonvent; wahrlich ein weiter, gefährlicher Marsch, bei Regen, Sturm und Nebel im Kopf vom Wein. Wie dem auch sei, das Fest schien vorüber, die Zeit verstrich, und je weiter die Nacht fortschritt, umso deutlicher wuchs in mir die Erkenntnis, dass auch die Nonnen der Pflicht für die Mitternachtshore nicht nachkamen. Oder hatte Äbtissin Matilda meinetwegen die Gebetsstunde ins Refektorium verlegt?
    Erneut packte mich die Wut, heftiger und zerstörerischer diesmal. Doch obwohl es heißt, Wut macht blind, erkannte ich selbst in meinem Zorn, dass sich in einer Kapelle aus Holz und Stein mein Toben gegen mich selbst richten würde, ginge ich mit bloßen Händen gegen Mauerwerk und Betstühle vor. Da fiel mir Donnan von Eigg ein. Ich senkte den Kopf wie ein angreifender Schafsbock, stampfte zum Altar, stieg in die Holzkiste und sprang auf den Märtyrergebeinen herum, dass er – wäre es möglich gewesen – einen zweiten Märtyrertod erlitten hätte. Es knirschte, krachte und splitterte, dass es eine Freude war.
    Da hörte ich – durch das Brechen der Knochen – wie der Türbalken über das Holz schabte. Das Tor schwang knirschend auf und eine dunkle Silhouette zeichnete sich im Mondlicht ab.

3
    Venedig, Palazzo Falier
    M arino Faliero zitterte vor Wut. Er hatte die Wahl verloren. Doge der Serenissima war ein anderer geworden:
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