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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin
Autoren: Franz-Josef Körner
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Knochen zerschlug. Auch danach war er noch am Leben, und sie brachten ihn zum Galgen, der am Eingang der Piazzetta zwischen den Marmorsäulen aufgestellt war. Dort baumelte der Gehenkte dann wie ein grausiges Windspiel über den Glücksspieltischen.
    Faliero schreckte ohne Zweifel vor nichts zurück. Das machte ihr gleichermaßen Angst, wie es sie auf unerklärliche Weise erregte. War es das Spiel von Macht und Ohnmacht? Faszinierte sie diese Gratwanderung? War es genau das, worum es im Liebesakt ging, es so weit voranzutreiben, dass sich Schmerz mit Lust, Leben mit Sterben vermischte? Felicia wusste es nicht in Worte zu fassen. Sie wusste nur, dass sie Faliero auf ihre Art liebte. Und dennoch betrog sie ihn nach Strich und Faden. Sie war eben eine Hure.
    Faliero hatte strenge Regeln über ihr Haus verfügt. Vor zwölf Jahren war die letzte große Pestwelle über die Stadt gekommen, seitdem lebten immer noch viele Venezianer in Angst vor dem Schwarzen Tod. Mehr als die Hälfte aller Stadtbewohner war damals gestorben, auch Falieros Frau Elena. Die Bilder hafteten in den Köpfen der Überlebenden: die Toten auf den Straßen, die am Ende nicht einmal der Niederste gegen ein hohes Entgelt fortschaffen und begraben wollte. Die Pestopfer, die zu Hunderten in der Lagune trieben, die Leichenhaufen auf der Insel Vecchio, wohin man anfangs noch die Gestorbenen transportiert hatte. Die Ratten überall in den Gassen und Häusern. Die brennenden Schiffe auf der Lagune, die der Doge anzünden ließ, wenn Koggen mit Pestkranken an Bord im Hafen der Stadt anlegen wollten.
    Faliero war skrupellos, grausam, aber auch mutig bis zur Tollkühnheit. Er hatte vor nichts Angst – außer vor der Pest. Es war ihm selbst ein Rätsel: Den Tod fürchtete er nur in einer Gestalt – in der schwarzen. Er traf unzählige Vorsichtsmaßnahmen, damit er im Falle einer erneuten Epidemie nicht infiziert würde. Besucher seines Palazzos wurden vor dem Betreten unauffällig auf Anzeichen der Krankheit untersucht. Gab es erste verräterische Symptome wie fiebrige Augen oder ein sichtbares Frösteln, obwohl die Sommerhitze unerträglich war? Oder konnte man sogar schon Verdickungen am Hals sehen, die sich bald in die furchtbaren Beulen verwandeln würden? Faliero hatte seinen Dienern befohlen, Besucher selbst bei geringsten Zweifeln an ihrer Gesundheit abzuweisen. Lebensmittel durften nur bei bestimmten Händlern gekauft werden, und Faliero veranlasste, dass er weder mit Menschen noch mit Nahrung in Berührung kam, die von einer der großen Hafenstädte wie Genua, Messina oder Marseille kamen.
    Für das Haus seiner Hure hatte Faliero dieselben Maßnahmen befohlen, und er ließ ihre Einhaltung regelmäßig überprüfen. Anfangs hatte er Felicia verbieten wollen, ihren Palazzo überhaupt auf andere Weise zu verlassen als in einer von ihm bereitgestellten Barke zu einem ihm bekannten Ziel. Doch sie hatte ihn ausgelacht. Zudem verfügte sie über genügend Mittel und Wege, seiner Überwachung zu entgehen. Zum Beispiel wusste Faliero zwar von den Gängen, die sich im Untergrund Venedigs wie ein Spinnennetz entlang der Kanäle zogen, aber er hatte keine Ahnung, dass es von ihrem Vorratsraum aus einen Zugang dazu gab. Oder doch?
    In gewisser Weise war Felicia mit Faliero wesensverwandt. Auch sie kannte keine Skrupel und konnte Grausamkeit zu ihrem Werkzeug machen, wenn es den eigenen Zielen diente. Ebenso wie Faliero hatte sie ein Löwenherz. Wie sonst hätte sie die unterirdischen Gänge erkunden können, in denen es bestialisch stank, stockdunkel war und vor Ratten wimmelte? Die Tunnel nutzte sie, wenn sie heimlich Kunden aufsuchen wollte, zu deren Häusern es ebenfalls einen unterirdischen Zugang gab.
    In einem unterschieden sie und Faliero sich allerdings grundlegend. Dies betraf die Angst vor dem Tod. Fürchtete er die Pest und nichts anderes, so schreckten sie alle Möglichkeiten zu sterben
außer
dem Schwarzen Tod. Auch hierfür fand sie nie eine plausible Erklärung. Gesegnet war sie lediglich mit dem unerschütterlichen Glauben, dass diese Art des Todes sie niemals ereilen würde. Selbst in den Zeiten, als die Pest in Venedig wütete, bewegte sie sich ohne Bedenken immer und überall, wo sie nur wollte. Bedarf an Dirnen gab es im Übermaß. Schwang der Schwarze Tod die Sense, feierten, soffen und hurten die Menschen beinahe verzweifelt.

    Als die Barke vor Felicias Palazzo anlegte und der Diener sie anwies, sich zu beeilen, nickte sie höflich und
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