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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin
Autoren: Franz-Josef Körner
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wieder ein Dandolo. Nach Giovanni, dem Exkommunizierten und danach doch wieder in die heilige Kirche Aufgenommenen, nach Enrico, dem Helden des vierten Kreuzzugs, der selbst dann noch weiterkämpfte, als die Heiden ihn geblendet hatten, nach Francesco, dessen goldenen
bucintoro
ein englischer Spion und eine irische Hexe verbrannt und auf dem Grund der Lagune versenkt hatten, und schließlich Andrea, nun Pietro Dandolo. Kunstliebhaber und Schöngeist, befreundet mit Petrarca. Verfasser einer Chronik Venedigs. Dabei gehörten die Dandolos nicht einmal den
case vecchie,
den alten Familien Venedigs an. Sie waren Emporkömmlinge. Er nicht.
    Er würde warten. Geduldig. Seine Zeit würde kommen. Der nächste Doge würde
er
sein, auch ein Dandolo lebte nicht ewig. Und dann konnte der
maggior consiglio
ihn nicht mehr übergehen. Er war ja auch ein Mitglied des Großen Rates, doch es hatte ihm nichts genützt, dass er seine Stimme sich selbst gegeben hatte. Überhaupt, als Erstes würde er dieses schwachsinnige Wahlverfahren abschaffen. Sollte sich ein Mensch das vorstellen: Man holte vom Markusplatz einen zehnjährigen Jungen. Wenn schon, dann würde ich eine schöne Jungfrau nehmen, dachte Faliero. Dieser
ballottino
zog die Kugeln, welche die Mitglieder des Rats in die Urne geworfen hatten und auf denen die Namen der Ratsmitglieder standen. Was dann folgte, konnte sich nur der Buchhalter eines Kaufmanns ausgedacht haben oder vielleicht ein Engländer. Neun Kugeln mit neun Namen wurden aus den dreißig gezogen. Die neun Gezogenen wählten vierzig Ratsherren. Aus den vierzig machte ein erneutes Los zwölf. Die zwölf wählten fünfundzwanzig Männer, diese wiederum neun. Die neun schrieben ihrerseits fünfundvierzig Namen auf, deren Besitzer elf Ratsherren wählten, die einundvierzig Kandidaten nominierten. Und diese einundvierzig – endlich – wählten den Dogen.
    Einem Außenstehenden konnte man es erklären, solange man wollte. Er verstand es nicht. Vor allem auch nicht, warum das Ganze so kompliziert sein musste.
    Trotzdem war ein neuer Doge gewählt worden. Nur eben nicht
er
. Auch diesmal nicht. Wer also waren die Heuchler und Verräter im Rat, die ihm unterwürfig ihre Stimmen versprochen hatten? Hatte er nicht genug gezahlt, gelobt oder gedroht? Oder war es Dandolo gelungen, noch andere, ihm unbekannte Hebel zu bewegen? Fest stand, es war keine Frage der Kompetenz oder Sympathie. Der Preis für eine Stimme war einfach zu definieren. Der Wähler wollte mit dem Gewählten nach oben – an die Spitze der Macht – und dies möglichst verbunden mit Reichtum und Ruhm. Was also hatte er falsch gemacht, Dandolo aber richtig?
    Faliero starrte aus dem Fenster seines Palazzos auf die blaue Lagune. Doch er hatte keinen Sinn für die Schönheit der Farben, für das strahlende Licht, die weißen Segel am Horizont, dort, wo der Himmel und das Meer ineinanderflossen. Er griff nach dem Weinglas und leerte es auf einen Zug.
    »Giuseppe!« Sein Ruf nach dem Diener klang wie wütendes Gebell.
    Schon stand wie aus dem Nichts der livrierte Lakai da, ein untersetzter dunkelhäutiger Mann, an dem die glitzernde Uniform wirkte wie goldverziertes Geschirr an einem Ackergaul.
»Vostra eccellenza«,
murmelte er mit dem grobschlächtigen Dialekt eines umbrischen Bauern.
    »Felicia soll kommen, sofort.«
    »Si, vostra eccellenza.« Lautlos verschwand der Diener.

    Die Hure Felicia war einzig Faliero zu Diensten. Zumindest ließ sie ihn das glauben. Er bezahlte sie so großzügig, dass klar war, sie gehörte ihm allein. Damit konnte sie sich einen Palazzo am Canal Grande und teure Kleidung leisten, zwei Diener standen in ihrem Dienst, und sie war angesehen wie eine Adelige. Doch sie wusste auch, dass sie gefährlich lebte und mit dem Feuer spielte. Fände Faliero je heraus, dass auch noch andere Ratsmitglieder einen nicht unbedeutenden Obolus zu ihrem aufwendigen Lebensstil beitrugen, würde er sie töten lassen. Dies würde nicht auf eine gnädige, schnelle Art geschehen. Faliero war grausam. Er würde sie quälen, bevor er sie sterben ließ. Sie hatte die Hinrichtung eines Mannes aus Murano gesehen, der angeklagt war, das Geheimnis der Glasbläser verraten zu haben. Faliero hatte über ihn gerichtet. Er ließ ihn am Strappado aufhängen, wo ihm die Schultern aus den Gelenken gerissen wurden und wo er noch verschiedene andere Foltermethoden über sich ergehen lassen musste, bevor der Henker ihn aufs Rad flocht und ihm mit einer Eisenstange alle
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