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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin
Autoren: Franz-Josef Körner
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Flammen erloschen sind?«
    Eine Prozession aus Geistlichen, Sargträgern und ehrwürdigen Schwestern schritt hinter Bischof William einher, der in die Kapelle stolzierte. Erst musste das Kohlebecken hinausgeschafft werden, damit alle Platz fanden. Dann drängten wir uns in der Enge zusammen wie die Schafe. Bei diesem Vergleich stiegen mir Tränen in die Augen. Die Träger stemmten den Sargdeckel auf. Nach einer festgelegten Ordnung durfte jede von uns einen kurzen Blick auf den heiligen Inhalt der Kiste werfen; nach Schieben und Drängeln war auch ich an der Reihe. Was ich sah, war eine schauerliche Zusammenstellung aus verkohlten Gebeinen, gekrönt von einem grinsenden schwarzen Schädel. Alles in allem war der Zustand des Märtyrers bedauernswert, darüber konnte auch das glitzernde Geschmeide, das die Knochen zierte, nicht hinwegtäuschen. Edelsteine blinkten in den Augenhöhlen, Ringe waren auf die skelettierten Finger gesteckt. Gold- und Silberketten wanden sich um Rippen und Gelenke. Das heilige Skelett, an dem so manches fehlte, war behängt wie ein heidnischer Götze.
    Die heilige Messe zog sich in die Länge. William war kein Mann von knappen Worten. Er zelebrierte sein Amt in größtmöglicher Breite und Ausführlichkeit. Vielleicht zog auch die Enge der Kapelle die Messe in die Länge. Dabei bewies der Bischof auch in der Liturgie bemerkenswerten Eigensinn. Ohne erkennbare Mühen wechselte er vom vorgeschriebenen Latein ins Gälische und wiederholte dieses Spiel nach Belieben. Eins war klar. Es kam nicht auf die Worte an, sondern dass sein wohlklingender Bass sie sprach.
    Währenddessen plagte mich das Gewissen. Ich hatte einen Kloß im Hals und unterdrückte mühsam ein Schluchzen. Welcher Teufel war in mich gefahren, als ich das Lämmchen geopfert hatte – es geschlachtet, gehäutet, ausgeweidet und auf eine eiserne Bratstange gespießt? Es war für mich den Märtyrertod gestorben, doch kein Papst würde es heiligsprechen, niemand würde seine Gebeine mit Gold und Edelsteinen schmücken. Die Mönche des Nachbarklosters, das sich hinter dem Hügel duckte, würden zum Festmahl erscheinen, sich am Wein der Nonnen gütlich tun und die vom Braten fetttriefenden Finger an den Kutten abwischen. Dann würden sie zurück zu ihrer Abtei marschieren und lateinisches Zeug in den Wind singen – angeblich Gotteslob, doch wer ein wenig Latein studiert hatte, dem trieb es die Schamröte ins Gesicht. Die Knochen des Lamms würden sie in einem Sack verstauen und dann ihren irischen Wolfshunden vorwerfen.
    »Deo gratias, eie, missa est!«,
dröhnte William, und die Antwort der Nonnen
»Proficiat ad salutem in aeternum. Amen«,
klang wie Erlösung – und gleichzeitig wie das Krächzen der Dohlen, die in den Spalten der Klippen nisteten und im Nordwind segelten.
    »Auf, auf, zum Festmahl, zu Ehren des hochwürdigen Herrn Bischof William des Dritten von Orkney«, flötete Äbtissin Matilda, und alle drängten hinaus. Als auch ich die Kapelle verlassen wollte, packte mich eine knochige Hand am Ärmel.
    »Du nicht.« Das Flöten hatte sich in Zischen verwandelt. »Du bleibst hier, betest, bittest den Herrn um Vergebung deiner Sünden und bewachst die heilige Reliquie.« Sprach’s, drehte sich lächelnd um und ließ die Kapellentür hinter sich zuschlagen. Der Luftzug löschte die Kerzen auf dem Altar, ich hörte den schweren Balken, der als Riegel diente, nach unten fallen und war allein in der Dunkelheit. Das heißt, ich war nicht allein. Die verbrannten Gebeine des heiligen Donnan von Eigg, gekrönt von seinem schwarzen Schädel mit den Edelsteinaugen, leisteten mir Gesellschaft.
    In der Dunkelheit tastete ich nach Feuerstein und Zunder. Doch vergebens. Die Schwestern hatten beides mitgenommen. Es sollte wohl Teil meiner Strafe sein, dass ich in der engen Kapelle nicht nur mit einem Skelett eingeschlossen war, sondern dass auch noch tiefe Dunkelheit herrschte. Draußen heulte der Wind und pfiff durch die Mauerritzen, sein Gesang verschmolz mit den mehrstimmig vorgetragenen Zoten der Mönche – und dröhnte da nicht auch des Bischofs Bass im Hintergrund?
    Plötzlich knisterte, raschelte und knackte es. Entsetzt hielt ich den Atem an. Gesegnet mit einer gesunden Portion Fantasie, wurde diese Gabe nun zum Fluch. Vor meinem geistigen Auge erwachten die Knochen zum Leben, ordneten sich, richteten sich aus. Fußknochen fanden zusammen, Unter- und Oberschenkel vereinten sich und sprangen flugs in die Hüftpfanne. Rippenbögen
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