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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte
Autoren: Mo Yan
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Yangs Herz klopfte vom schnellen Laufen, und er schnappte nach Luft. Sein ganzer Körper roch nach Schweiß. Sie blieben stehen. Er hob den Kopf und sah dunkle Akazien vor sich. An der Westseite des Waldes standen drei rote Backsteinhäuser mit Ziegeldächern. Gao Yang kam nicht oft in diesen Teil des Dorfes, deshalb wußte er nicht, wer hier wohnte. Die Polizisten, die ihn in den Wald gezerrt hatten, richteten sich auf und holten tief Luft. An den Schultern und um die Gürtel herum waren ihre Jacken von Schweiß durchnäßt. Das flößte ihm ein Gefühl der Achtung und des Mitleids ein. Gao Jinjiao kam geduckt in den Wald geschlichen und flüsterte den Polizisten zu: »Er ist in seinem Haus. Ich habe ihn durchs Fenster beobachtet. Er liegt lang ausgestreckt auf dem Bett und schläft.«
    »Wie gehen wir vor bei der Festnahme?« Der stotternde Polizist blickte seinen Kollegen fragend an. »Soll Dorfvorsteher Gao ihn aus dem Haus locken? Der Kerl war bei den Soldaten, es wird nicht leicht sein, ihn zu schnappen.«
    Gao Yang erriet sofort, auf wen sie es abgesehen hatten. Bestimmt wollten sie Gao Ma festnehmen. Er blickte verächtlich zum Dorfvorsteher hinüber und bedauerte, daß er ihn nicht beißen konnte.
    »Nicht nötig. Wir stürmen rein und nehmen ihn fest. Wenn es nicht anders geht, kriegt er den elektrischen Schlagstock zu spüren«, sagte der andere Polizist.
    »Genossen«, sagte der Dorfvorsteher, »für mich gibt es hier nichts mehr zu tun. Ich gehe.«
    »Wieso gibt es für dich nichts zu tun? Du mußt auf den hier aufpassen.«
    Haßerfüllt starrte Gao Yang den Dorfvorsteher an.
    »Unmöglich. Wenn er abhaut, kann ich auf keinen Fall die Verantwortung übernehmen.«
    Der stotternde Polizist wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß vom Gesicht und fragte: »Was ist, Gao Yang, würdest du einen Fluchtversuch riskieren?«
    Mit plötzlich aufsteigendem Mut murmelte Gao Yang zähneknirschend: »Und ob!«
    Der stotternde Polizist kicherte schrill und ließ zwei helle Reißzähne sehen: »Hast du gehört? Er würde es riskieren abzuhauen. Er würde es wagen wegzulaufen. Kennst du nicht den Spruch: Nimmt der Kerl Reißaus, zurück bleibt sein Haus?«
    Der stotternde Polizist löste ein Schlüsselbund vom Gürtel, führte es lässig zwischen die Handschellen und öffnete das Schloß, das knackend aufsprang. Dabei sah er ihn lächelnd an. Gao Yang rieb über die dunkelroten Striemen, die die Fesseln in seine Handgelenke gedrückt hatten. Eine Welle der Dankbarkeit überflutete ihn. Erneut kamen ihm die Tränen. Hartnäckig redete er sich ein: Tränen sind bloß Tränen. Ich weine nicht.
    Hoffnungsfroh blickte er dem Polizisten ins Gesicht und fragte: »Genosse, darf ich nach Hause gehen?«
    Der Polizist erwiderte: »Nach Hause? Früher oder später wirst du freigelassen, aber jetzt geht es nicht.«
    Der stotternde Polizist gab seinem Kollegen ein Zeichen. Der stellte sich hinter Gao Yang und stieß ihn gegen eine Akazie. Als Gao Yangs Nase schmerzhaft mit der rauhen Borke in Berührung kam, packte ihn der stotternde Polizist an den Händen, riß sie nach vorne, und bevor Gao Yang begriffen hatte, was geschah, schlossen sich die zwei Stahlreife wieder um seine Handgelenke. Er umarmte eine Akazie, die so dick war, daß er seine auf der anderen Seite des Baumes aneinandergefesselten Hände nicht mehr sehen konnte. Wütend stieß er mit der Stirn gegen den Baum. Der Stoß ließ die Blätter rascheln. Erschreckt flogen die Zikaden hoch, kühler Zikadenkot tropfte ihm in den Nacken.
    »Wolltest du nicht wegrennen?« fragte der stotternde Polizist. »Lauf nur. Reiß den Baum aus, wenn du soviel Kraft hast. Dann kannst du mit dem Baum zusammen weglaufen.«
    Als Gao Yang sich nach ihm umdrehen wollte, stach ihn ein harter, spitzer Aststummel in den Bauch, als wollte er ihn aufspießen. Seine Eingeweide zuckten heftig. Unwillkürlich riß er die Arme nach hinten, und die Handschellen schnitten schmerzhaft in seine Handgelenke. Er machte das Kreuz hohl und blickte an sich hinunter. Aus einer kleinen Wunde in seinem Bauch trat ein Tropfen Blut aus, schwarzrot, wie der Aststummel. Als sein Blick weiter nach unten wanderte, bemerkte er, daß seine Hose schon fast wieder trocken war. Die Ränder der Flecken sahen aus wie Wolkenhaufen am Horizont. Er konnte auch seinen rechten Fuß sehen. Der Knöchel war geschwollen und blau verfärbt. Abgestorbene Haut hatte sich von der Schwellung abgeschuppt wie halb durchsichtige
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