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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte
Autoren: Mo Yan
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riefen laut: »Keine Bewegung!«
    Gao Ma stand mit dem Rücken zur Mauer. Aus seinem Mund sickerte Blut, von seinem rechten Handgelenk baumelte eine Stahlkette, die in einer Handschelle endete. Die Polizisten hatten ihn nur an einer Hand fesseln können.
    »Stehenbleiben! Keine Bewegung, du Konterrevolutionär!«
    Schulter an Schulter rückten die beiden Polizisten vor. Der stotternde Polizist hinkte immer noch ein wenig.
    Gao Yang fing an zu zittern, und alle Akazienblätter zitterten mit ihm. Er wagte nicht mehr, Gao Ma nachzublicken, der sich so weit entfernt hatte, daß die weißen Rücken der Polizisten, Gao Mas braunes Gesicht und die schwärzlichen Blätter der Akazien ein Flachrelief vor gelbem Hintergrund bildeten.
    Was dann geschah, hätten weder Gao Yang noch die Polizisten erwartet. Gao Ma bückte sich blitzschnell, kratzte zwei Handvoll Erde zusammen und schleuderte sie den Polizisten mit aller Kraft ins Gesicht. Die feinkörnige Erde sah aus wie Pulverrauch. Die Polizisten hoben instinktiv die Arme, um die Augen zu schützen, und wichen einen Schritt zurück. Gao Ma drehte sich um und kletterte auf die Mauer. Zwei Schüsse fielen. Rauchwölkchen waren vor der Mauer zu sehen. Gao Ma rief: »Mutter!« und stürzte auf der anderen Seite der Mauer zu Boden.
    Auch Gao Yang schrie auf und stieß den Kopf gegen den Baumstamm.
    Bei den Akazien hinter Gao Mas Haus ertönte das schrille Weinen eines kleinen Mädchens.
    Jenseits des Waldes sah man einen verfallenen Deich. Dahinter befand sich ein mit roten Weidenbüschen bewachsenes sandiges Ufer, das zu einem ausgetrockneten Flußlauf gehörte. Auf der anderen Seite des Flußbetts kam wieder ein sandiges Ufer mit roten Weidenbüschen, und dahinter lag das von weißen Pappeln umsäumte Gebäude der Gemeindeverwaltung, von dem aus eine Asphaltstraße geradewegs zur Kreisstadt führte.

Zweites Kapitel
    Knoblauchstangen, knackig und frisch,
    gehören zum Fleisch auf den Tisch.
    Wer Knoblauch zum Verkauf anbaut,
    hat neu bald Hemden, Haus und Braut.
    Aus einem Lied, das der blinde Zhang Kou
in einer Sommernacht des Jahres 1986 vortrug
1
    Der Stangenknoblauch war verkauft, der zu Zöpfen geflochtene Knoblauch hing unter dem Dachvorsprung. Der Weizen war bereits eingebracht, gedroschen, getrocknet und zum Lagern in die großen Tonkrüge abgefüllt. Die Tenne vor Tante Viers Haus war gegen Abend blitzsauber gefegt, ein paar Haufen Weizenstroh erhoben sich schwarz unter dem flimmernden Sternenhimmel und verströmten einen intensiven Duft. Von den Feldern her wehte ein frischer Juniwind. Er ließ die Flamme der Petroleumlampe hinter dem schützenden Glaszylinder unablässig flackern. Grüne Insekten schwirrten heran und prallten in vollem Flug gegen das Lampenglas. Auf das leise prasselnde Geräusch, das sie dabei verursachten, achtete niemand, ausgenommen Gao Ma.
    Die Anwesenden, die im Lichtkreis der Petroleumlampe hockten, saßen oder standen, hatten nur Augen für den blinden Zhang Kou, der auf einem Hocker hinter der Lampe Platz genommen hatte. Das goldgelbe Licht übergoß Zhang Kous dunkles, mageres Gesicht und ließ seine hohen Backenknochen glänzen, als wären sie glasiert.
    Heute abend muß ich ihre Hand anfassen, schoß es Gao Ma durch den Kopf. In Wellen aufsteigendes Glück ließ seinen Körper erschauern. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Jinjü, die Tochter von Tante Vier, die drei Schritte entfernt von ihm stand. Ich muß einfach ihre Hand anfassen. Hatte nicht Julien Sorel an einem kühlen Abend darauf gewartet, daß die Kirchturmglocke neunmal schlug, und dann mutig und ohne zu zaudern nach der Hand der Frau des Bürgermeisters gegriffen? Wenn Zhang Kous Geige erklingt und der Blinde sein erstes Lied singt, dann werde ich ihre Hand nehmen, sie ganz fest drücken und jeden ihrer Finger zwischen meinen Fingern spüren, jeden Finger einzeln drücken. Sie hat ein rundes Gesicht, so rund wie eine Sonnenblume, und ihre Haut ist goldgelb wie die Blütenblätter einer Sonnenblume. Auch ihre Ohren haben dieses anmutige Goldgelb. Sie ist nicht groß, aber ihr Körper ist stark und gesund, wie bei einem jungen Kalb. Sie ist bereits zwanzig. Ich muß etwas unternehmen. Ich kann die Wärme ihres Körpers bis hierher spüren. Zhang Kou räusperte sich. Gao Ma rückte einen Schritt in Richtung Jinjü vor. Er bewegte sich unmerklich, seine Augen blieben, wie die Augen aller anderen, starr auf Zhang Kou gerichtet.
    Ein frischer Hauch von Pferdemist strich über die
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