Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte
Autoren: Mo Yan
Vom Netzwerk:
Schlangenhaut.
    Er drehte sich vorsichtig von dem Aststummel weg und fixierte mit haßerfülltem, ängstlichem Blick die Beine der Polizisten. Sie steckten in schwarzen Lederstiefeln, die glänzten, obwohl sie mit Schmutz bespritzt waren. Er dachte: Wenn sie Stoffschuhe anhätten, wäre mein Knöchel nicht so dick geschwollen. Vorsichtig bewegte er den rechten Fuß. Ein scharfer Schmerz durchfuhr ihn, als wäre der Knochen gespalten. Wieder schossen ihm Tränen in die Augen, aber er schärfte sich ein: Gao Yang, das sind Tränen, aber du weinst nicht.
    Vorsichtig schlichen sich die beiden Polizisten an den Hof von Gao Ma heran. Der eine hielt die Pistole in der Hand, der andere einen Schlagstock. Die Hofmauer war an der Ostseite eingestürzt. Stellenweise stand nur noch das einen halben Meter hohe Ziegelfundament. Die Polizisten konnten leicht darübersteigen. Im Hof erhoben sich vor der Westmauer zwei große Götterbäume, die ihre Blätter hängen ließen. Ein paar Hühner hockten schlapp im Schatten der Bäume. Die Sonnenstrahlen überzogen den Boden wie mit geschmolzenem Silber und brachten den Haufen verfaulender Knoblauchsprossen zum Gleißen. Ihr Anblick bereitete Gao Yang Übelkeit. Er hätte sich am liebsten übergeben. Seit dem Preissturz für Knoblauchsprossen im letzten Monat hatte er an diesen glatten, dünnen Dingern genausoviel Freude wie an den Spulwürmern im Mist. Je länger er darüber nachdachte, desto übler wurde ihm.
    An der Hauswand stand unter dem Fenster ein umgestülpter Eisentopf mit durchlöchertem Boden. Gao Yang sah, wie der stotternde Polizist mit dem schwarzen Schlagstock in der Hand den Hals lang machte, um durch das Fenster zu blicken. Hinter diesem Fenster lag Gao Ma auf dem Bett, alle viere von sich gestreckt. Der Dorfvorsteher hatte sich wieder an eine Akazie gelehnt und stieß rhythmisch mit dem Rücken gegen den Stamm. Auf einem Unkrauthaufen sonnten sich ein paar schmutzigweiße Hühner. Sie hatten die Flügel ausgebreitet und ließen die Sonne auf ihre gesträubten Federn niederbrennen. »Wenn Hühner ihre Flügel sonnen, wird ein großer Regen kommen.« Ein tröstlicher Gedanke. Gao Yang hielt den Kopf schief, um den vom Gewirr der Äste zerschnittenen Himmel zu studieren. Der Himmel war tiefblau. Purpurrote Sonnenstrahlen strömten wie Regenfäden herab. Nicht eine einzige Wolke war zu sehen. Die Hühner scharrten im Unkraut. Hinter dem stotternden Polizisten stand jetzt sein Kollege. Er hielt die blauglänzende Pistole von sich gestreckt und hatte den Mund weit geöffnet, schien aber kaum zu atmen.
    Gao Yang senkte den Kopf, um sich an der Baumrinde den kalten Schweiß von der Stirn zu reiben. Die beiden Polizisten wechselten einen Blick. Sie zauderten, als wollte jeder dem anderen den Vortritt lassen. Gao Yang erriet sofort, weshalb sie zögerten. Dann waren sie sich offenbar irgendwie einig geworden. Der erste rückte seinen Gürtel zurecht. Der andere preßte die Lippen so fest zusammen, daß nur noch ein dünner Strich zu sehen war. Der Dorfvorsteher ließ einen langen Furz gegen den Akazienstamm fahren. Die Polizisten duckten sich, wie Katzen, die eine Maus erblickt haben.
    »Paß auf, Gao Ma«, rief Gao Yang laut, »mach, daß du wegkommst, die Polizei will dich holen.«
    Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, da überlief es ihn kalt, seine Zähne klapperten, und er fürchtete sich. Er bereute, was er getan hatte, und biß sich zitternd auf die Lippen. Hilflos schaute er dem Geschehen zu. Der stotternde Polizist blickte sich um und stolperte dabei über den rostigen Eisentopf. Er taumelte, fiel aber nicht hin. Der Polizist mit der Pistole stürmte ins Haus. Der stotternde Polizist folgte ihm mit erhobenem Knüppel. Die Tür krachte splitternd gegen die Wand.
    »Hände hoch!«
    Gao Yang hatte Tränen in den Augen. Weine nicht, sagte er sich vor. Weine nicht. Ihm war, als sähe er, wie sich zwei Stahlringe um Gao Mas kräftige Handgelenke schlossen. Sie mußten den Fesseln an seinen eigenen Gelenken gleichen, in denen seine Hände sich schwer und geschwollen anfühlten. Er konnte seine Hände hinter der Akazie nicht sehen, aber er spürte, daß sich das Blut in ihnen ausdehnte und jederzeit die Haut zerreißen und herausspritzen könnte.
    Aus dem Zimmer drangen dumpfe Geräusche. Das Fenster sprang krachend auf. Ein schwarzer Schatten kam herausgehuscht. Gao Yang erkannte Gao Ma, der, nur mit einer kurzen grünen Hose bekleidet, über den kaputten Topf stolperte. Er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher