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Die Klinik

Die Klinik

Titel: Die Klinik
Autoren: Noah Gordon
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englischen Kinderwagen den Allegheny Airlines und flog nach Pittsburg. Der Rauch, der einst alles bedeckt hatte, war durch die Technik verbannt worden, und die Luft schien nicht schmutziger zu sein als die von Massachusetts. Es gibt nichts Neues unter der Sonne: der Verkehr war der gleiche wie in Boston; das Taxi entließ ihn vor einem Krankenhaus, das ganz wie das Suffolk County General aussah; im dritten Stock fand er in einem Bett, für das die Steuerzahler aufkamen, seinen Vater, und der sah ebenfalls genauso aus wie irgendeines der Wracks, denen Dr. Silverstone täglich in seiner Abteilung begegnete.
    Myron Silberstein war wegen Delirium tremens schwer sediert und würde eine Zeitlang nicht zu sich kommen. Adam saß auf einem Stuhl, den er nahe ans Bett gezogen hatte, und starrte in das hagere Gesicht, dessen Blässe durch die vielsagende Tönung der Gelbsucht noch betont wurde. Aber die Züge waren seine eigenen, erkannte er mit einem Frösteln.
    Welch eine Verschwendung menschlicher Kräfte, dachte er. Ein und derselbe Mensch konnte so viel tun oder auch alles wegwerfen. Und dennoch wurde einem menschlichen Wrack oft ein langes Leben geschenkt, ohne daß er es verdiente, während… Er dachte an Gaby und wünschte, er hätte die Macht, dem einen Körper Krankheit wegzunehmen und sie einem anderen einzupflanzen.
    Voll Scham schloß er die Augen und horchte auf die Geräusche des Krankensaals, da ein Stöhnen, dort ein verächtliches Kichern im Delirium, schweres Atmen, ein Seufzer. Eine Schwester kam vorbei, und er bat, den Oberarzt sprechen zu dürfen.
    »Dr. Simpson wird später vorbeikommen, auf Visite«, sagte sie. Sie deutete mit dem Kinn auf die Gestalt im Bett. »Sind Sie mit ihm verwandt?«
    »Ja.«
    »Als man ihn einlieferte, regte er sich schrecklich über irgendwelche Sachen auf, die man dort, wo er wohnt, zurückgelassen hatte. Wissen Sie etwas darüber?«
    Sachen? Was konnte er schon Wertvolles besitzen?
    »Nein«, sagte Adam.
    »Haben Sie seine Adresse?«
    Eine Viertelstunde später kam sie mit einem Zettel zurück.
    So konnte er die Wartezeit wenigstens verkürzen. Er ging hinunter, nahm ein Taxi und war nicht überrascht, als ihn der Wagen vor einer dreistöckigen Fassade mit angeschlagenen roten Ziegeln absetzte, einem alten Wohnhaus, das jetzt eine Pension war.
    Durch einen nur widerwillig geöffneten Türspalt sprach er mit der Hausfrau, die, obwohl Mittag schon vorbei war, noch immer einen alten braunen Bademantel trug, das schüttere Haar auf metallenen Lockenwicklern.
    Er fragte nach Mr. Silbersteins Zimmer.
    »Hier wohnt niemand dieses Namens«, sagte sie.
    »Er ist mein Vater. Sie kennen ihn nicht«?
    »Das habe ich nicht gesagt. Er war bis vor wenigen Tagen hier Hausmeister.«
    »Ich komme seine Sachen holen.«
    »Es waren nur Lumpen und Mist. Ich habe sie verbrannt. Ich bekomme einen neuen Hausmeister, der morgen früh einzieht.«
    »Oh.« Er wollte gehen.
    »Er schuldet mir acht Dollar«, sagte sie und sah ihm zu, als er die Noten aus der Brieftasche nahm und abzählte. Ihre Hand entriß ihm das Geld, als er es hinstreckte. »Er war ein besoffener alter Landstreicher«, kam es, gleichsam als Quittung, durch den sich schließenden Türspalt.
     
    Als er ins Krankenhaus zurückkam, war sein Vater bei Bewußtsein. »Hallo«, sagte er.
    »Adam?«
    »Ja. Wie geht’s dir?«
    Die blutunterlaufenen blauen Augen versuchten ihn zu erfassen, der Mund lächelte. Myron Silberstein räusperte sich. »Wie soll’s mir schon gehen?«
    »Gut.«
    »Bist du für lange hier?«
    »Nein. Ich komme bald wieder, jetzt muß ich sofort zurück. Heute nacht habe ich meine letzte Schicht als Oberarzt.«
    »Bist schon ein großer Mann?« Adam lächelte hilflos. »Noch nicht.«
    »Wirst einen Haufen Geld verdienen?«
    »Das bezweifle ich, Paps.«
    »Schon gut«, sagte Myron schüchtern. »Ich habe alles, was ich brauche.«
    Sein Vater dachte, daß er seine finanziellen Aussichten verkleinerte, um sie vor elterlichen Ansprüchen zu schützen, erkannte er voll Widerwillen. »Ich bin in deine Wohnung gefahren und habe versucht, deine Sachen zu holen«, sagte er unsicher, weil er nicht wußte, was fehlte oder wieviel er ihm erzählen sollte.
    »Du hast sie nicht bekommen?« fragte sein Vater.
    »Was war es denn?«
    »Einige alte Sachen.«
    »Sie hat sie verbrannt. Die Hausfrau.« Myron nickte.
    »Was für Sachen?« fragte Adam neugierig.
    »Eine Fiedel. Einen siddur. «
    »Einen was?«
    » Siddur. Hebräische
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