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Die Kinder vom Teufelsmoor

Die Kinder vom Teufelsmoor

Titel: Die Kinder vom Teufelsmoor
Autoren: Werner Schrader
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Stein aus der Mauer fiel.
    »Siehste«, sagte Berti, »wenn wir unter der Brücke gestanden hätten, wäre sie auch nicht eingestürzt!« »Künstlerpech«, sagte Rolf. »Aber einmal kracht sie bestimmt ein.«
    Gegen zwölf Uhr erreichten sie die Ritterhuder Hammeschleuse.
    Sie setzten sich an den Rand der Straße und sahen eine Weile den vielen Leuten zu, die an ihren Motor- und Segelbooten werkten. Es war sehr schwül geworden. Die schwere Luft machte sie müde. Willy und Birgit schliefen wieder, und Walter fielen ebenfalls die Augen zu, bevor er sich noch richtig ausgestreckt hatte. Rena wiegte ihre Katze auf dem Schoß wie ein Baby und sprach mit ihr. Berti und Bodo rupften Grashalme aus und versuchten darauf zu blasen. Ingelore pflückte Wegerichblätter und zählte die weißen Fäden. »Vier Kinder werde ich kriegen«, sagte sie, »halb so viele wie wir sind. Ob das reicht?«
    »Ich will keine Kinder haben«, sagte Rolf bestimmt. »Und wenn du welche kriegst?« »Ich krieg' keine.« »Willst du nicht heiraten?« »Klar, aber meine Frau nimmt die Pille.« Ingelore schwieg.
    »Wenn Mama die Pille genommen hätte«, sagte sie nach einer Weile nachdenklich, »wären Willy und Birgit nicht da und Walter und Rena vielleicht auch nicht.« »Na und?« fragte Rolf.
    »Willy ist aber doch so ein süßer kleiner Kerl!« »Wenn schon! Wenn er nicht auf der Welt wäre, würdest du eben Birgit und Walter süß finden. Die Kleinsten sind immer süß.« »Ich kann mir gar nicht denken, daß du mal süß warst«, mischte sich Bodo ein. »Ich finde es auch ziemlich blöde, süß zu sein. Ich war bestimmt nie süß.«
    »Da hast du recht«, pflichtete Ingelore ihm bei. »Du warst schon mit zwei Jahren so 'n kleiner Giftzwerg. Frag mal Rolf, einmal hast du mir mit der Harke ein Loch in den Kopf gehauen.« Berti ließ sich ins Gras zurücksinken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
    »Wenn ich nicht auf der Welt wäre«, sagte er, »dann wäre alles, was ich hier sehe, nicht da.«
    »Klar wäre das da!« widersprach Bodo. »Ob du auf der Welt bist oder nicht, das ändert gar nichts. Genauso wenn du stirbst, dann bleibt auch alles, wie es ist, nur du kannst es nicht mehr sehen.«
    »Tot sein ist schlimm«, sagte Berti. »Du bist im Grab und weißt nicht, ob es Winter oder Sommer ist.«
    »Das ist doch nicht schlimm«, sagte Rolf. »Das ist, als ob du schläfst.
    Da weißt du auch nicht, ob es regnet oder schneit.«
    »Im Grab fressen dich die Würmer«, sagte Bodo, »das ist scheußlich.
    Wenn ich sterbe, laß ich mich verbrennen. An Asche geht kein Wurm ran.«
    »Hört auf mit so 'n Quatsch!« rief Rena. »Wir sind noch klein, wir leben noch ganz lange!«
    »Kannst du gar nicht wissen«, entgegnete Bodo, »Kinder sterben auch.«
    »Aber nicht so leicht!«
    »Doch! Wenn sie unters Auto kommen!«
    »Ich möchte so alt werden wie Opa Pernecke«, sagte Berti. »Der ist, glaub' ich, schon hundertundsiebzehn. Wenn der sich ranhält, macht er die hundertundzwanzig noch voll.«
    »Pah!« sagte Rolf. »Der sitzt doch nur den ganzen Tag in seinem Schaukelstuhl und guckt in den Garten. Wenn das ein Leben sein soll!«
    Während dieses Gespräches hatte sich der Himmel bezogen. Es war dunkel geworden. Die Schwüle wurde immer drückender. Die Autos auf der Straße fuhren mit Licht.
    »Los, wir müssen weiter!« rief Rolf. »Kann sein, daß wir bald ein Gewitter kriegen, dann ist es besser, wenn wir es nicht mehr so weit haben.«
    Ingelore bettete Walter, der nicht wachzukriegen war, vorsichtig auf seine im Handwagen schlafenden Geschwister und zog gemeinsam mit Berti und Rolf den Wagen auf die Straße hinauf. Rena lag mit ihrem Kopf eng an die Katze geschmiegt und träumte. Sie wachte aber sofort auf, als Bodo die Katze zwickte, so daß sie schmerzvoll miaute.
    »Was hast du denn, mein Muschilein?« fragte sie zärtlich, drückte das Tier an sich und trottete müde und mehrmals gähnend auf die Straße zum Handwagen. Bodo nahm wieder das Fahrrad.
    Und so zogen sie weiter, schweigend vor Müdigkeit.
    Der Himmel verfinsterte sich zusehends. Hinter den Kindern war er schwarz wie Teer, aber vor ihnen hielt er ein hellblaues Tor geöffnet, durch das schräge Sonnenstrahlen fielen. »Da ist Worpswede«, sagte Rolf, »da wollen wir hin.« Wenig später war erstes Donnerrollen zu hören. Da marschierten sie schneller, als könnten sie ihr Ziel noch vor Beginn des Gewitters erreichen. Eine Windbö stieß sie vorwärts, wirbelte eine große
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