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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin
Autoren: Martina Kempff
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als die Tatsache, dass seine Ehefrau
Gertrud, Tochter des Albert von Egisheim, Graf von Metz, nicht, wie erhofft und
erwartet, die Grafschaft ihres Vaters mit in die Ehe eingebracht hatte.
    »Zu armselig bin ich, um den Sinn Eurer Rede zu erfassen, hohe
Frau«, erwiderte er. »Doch gestattet mir die Frage: Wer verbirgt sich unter
diesem Schleier der Trauer, die unsere Herzen jetzt mit so eisernem Griff
umfangen hält?«
    Die Frau erhob sich.
    »Gestattet mir die Frage, mein Graf: Welche edle Dame gedenkt Ihr jetzt zu heiraten, da Ihr
von Eurer Gemahlin geschieden seid?«
    Theobald stand ebenfalls auf, griff zu seiner Drehleier und sang:
»Von Traurigkeit künden verschleierte Lider, verborgene Schönheit, dem Lichte
zuwider …«
    »Ihr seid ein kecker und virtuoser Troubadour, Graf Theobald«,
unterbrach ihn die Fremde und legte einen schwarz behandschuhten Finger auf
seine vollen Lippen. »Und versteht vorzüglich, von ungenehmen Fragen abzulenken.
Wahrlich, ein würdiger Nachfolger des Wilhelm von Aquitanien. Doch wie dieser
werdet auch Ihr großes Unglück über alle Frauen in Eurem Leben bringen. Das ist
nicht Eure Schuld, das ist Eure Natur.«
    Sie wandte sich um. Ihr hoheitsvoller Abgang gestattete ihm keine
weitere Frage. Er klemmte die Drehleier unter den Arm, folgte der Unbekannten
in respektvollem Abstand und verließ den Saal, in dem sich, von beiden
unbemerkt, immer noch ein Mensch im Dunkel einer Fensternische aufhielt.
    Mich, dachte Clara in stiller Beglückung, mich wird er heiraten!
Wie gut, dass ich ihm heimlich gefolgt bin! Bald hat all mein Sehnen ein
Ende. Ich habe es immer gewusst: Seine Liebeslieder, der unerreichbaren
Kronprinzessin gewidmet, gelten in Wahrheit allesamt mir! Theo liebt mich,
hat mich immer geliebt, schon seit unserer gemeinsamen Kindheit am Hof, und hat
nur auf Drängen seiner schrecklichen Mutter diese alte hässliche Gertrud
geheiratet.
    Wohlig streckte sie sich auf der Fensterbank aus und gab sich süßen
Träumen hin. Bald würde sie mit Theobald als Gräfin in der Champagne leben,
nach dem Tod seines Oheims Sancho vielleicht gar Königin von Navarra werden,
einen wundervollen Hof führen, dem geliebten Gatten viele Nachkommen schenken
und endlich wissen, wohin sie gehörte, eine Heimat haben!
    Das war der Plan Gottes; deswegen hatte er vor vier Jahren Theo
geschickt, um sie aus der Hölle von Marmande zu retten.
    Die Wege des Herrn waren demnach nicht immer so unergründlich, wie
es hieß!
    Und wie viel sie mit Theo verband! Gemeinsam waren sie als kleine
Kinder an den Hof König Philipps gekommen, waren beide von der schönen milden
Blanka als deren besondere Gefährten auserkoren worden. Vereint hatten sie
darunter gelitten, wenn sich ihnen die damalige Kronprinzessin entzog, um Zeit
mit ihrem Gemahl oder ihren leiblichen Kindern zu verbringen. Beide hatten sich
in Gefahr begeben, um sich Blankas Zuneigung zu sichern – Theo hatte sich nach
seinem gewonnenen Erbfolgekrieg in der Champagne für den Kreuzzug gegen die
Häretiker gemeldet und sie sich auf eine gefahrvolle Reise in die Kriegswirren
des Südens begeben.
    Ein kleines Zittern durchlief Claras Körper. Hier gab es einen
gewaltigen Unterschied. Theobald hatte gewusst, dass er sein Leben aufs Spiel
setzte, es einer höheren Sache weihte; sie hingegen war wie ein verzogenes
kleines Kind nur davongelaufen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Und war dann aus
dem vermeintlich sicheren Schoß ihrer Familie in einen blutigen Krieg gestoßen
worden, der sie fast das Leben gekostet hätte.
    Rasch betete sie ein Ave Maria, in der Hoffnung, die fürchterlichen
Bilder bannen zu können, die stets wieder in ihr aufstiegen. Die sie seit vier
Jahren im Wachen und Träumen verfolgten und derer sie nicht Herr werden konnte.
    Hoch lodernde Flammen, dichte Qualmwolken, verstümmelte Leichen, der
zerschmetterte Kindskörper zu ihren Füßen, scheuende Pferde, deren Hufe
verzweifelt Flüchtende zermalmten, und rasende Kreuzritter, die wahllos auf
alles einschlugen, was sich ihren Schwertern darbot.
    Nie hatte ihr der eigene Name süßer in den Ohren geklungen als an
jenem Ort der Verdammnis. Theo hatte schnell gehandelt, sich seines Waffenrocks
entledigt, ihn ihr übergestreift und sie auf die Schultern genommen. Sie hatte
die Augen zugekniffen, als ihr Retter sie durch das Gemetzel der brennenden
Stadt zur Garonne hinuntertrug und in einen winzigen Kahn legte. Als sie die
Augen wieder öffnete, starrte sie auf ihre blutüberströmten
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