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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin
Autoren: Martina Kempff
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ständigen
Betriebsamkeit in den öffentlichen Räumen ein großes Problem. Zudem ziemte es
einer Hofdame nicht, sich ohne andere weibliche Gesellschaft mit einem Mann zu
unterhalten. Doch dann fiel ihr seine Neigung ein, neue Gesänge im hohen Saal
des Cité-Palasts zu erproben, und so legte sie sich auf die Lauer.
    Als sie ihn also eine Woche nach des Königs Grablege in Saint-Denis
mit der Drehleier unterm Arm durch den langen Gang schlendern sah, eilte sie
noch vor ihm dorthin, hockte sich mit klopfendem Herz in eine Fensternische und
wartete auf den Augenblick, der ihr Leben und das Theobalds für alle Zeiten verändern
würde.
    Dass kurz nach ihr ein anderer Mensch den Saal betrat, verdross sie
ungemein. Im Gegensatz zu Theobald kannte sie die verschleierte Frau. Das
begriff sie aber erst, als diese den Troubadour zur Rede stellte. Es war
Königin Ingeborg, die Witwe des verstorbenen Königs, ebenjene Gemahlin, die
dieser am Tag nach der Hochzeit verstoßen und erst viele Jahre später wieder
anerkannt hatte.
    Blanka, deren Eltern schon neun Jahre zuvor im fernen Kastilien
verstorben waren, liebte diese Frau aus dem fernen Dänemark wie eine Mutter und
hatte sie mit Clara häufig aufgesucht. Ingeborgs Stimme war unverkennbar.
Selbst dreißig Sommer im Süden hatten nicht vermocht, ihrer französischen
Aussprache das Klirren des harten nordischen Winters auszutreiben.
    Weit in ihre Fensternische zurückgezogen, verfolgte Clara den
Wortwechsel zwischen dem geliebten Mann und der einstmals ungeliebten Königin
Ingeborg. Niemals hatte der König gegenüber irgendeinem Menschen ein Wort
verlauten lassen, weshalb er – bleich wie der Tod und zitternd wie Espenlaub –
am Tag nach der Hochzeitsnacht und ihrer Salbung zur Königin befohlen hatte,
die schöne rotblonde Dänenprinzessin, um die er so ausdauernd geworben hatte,
fortzuschicken. Niemand kannte den Grund, weshalb sie in einen Turm gesperrt
wurde. Noch immer kursierten darüber Gerüchte am Hof, von denen das
abenteuerlichste der Königin unterstellte, ein Hermaphrodit zu sein.
    Mit dieser Begründung aber hätte der König seine Ehe annullieren
lassen und den Kirchenbann vermeiden können, unter dem sein Volk heftig
gelitten hatte. Jahrelang hatten die Menschen in Frankreich auf alle heiligen
Sakramente verzichten müssen. Auf das Läuten der Kirchenglocken, mit deren
Hilfe man sich den Tag, die Arbeit, die Gebetszeit einteilte und von Todesfällen
oder Feiertagen Kenntnis erhielt. Alles geriet aus den Fugen, weil der erste
Mann im Land vor der ihm gerade angetrauten Frau erschaudert war und sie fortgeschickt
hatte.
    Womit nur hatte die Dänin den König, der anfangs so überaus entzückt
von ihr gewesen war, in der Hochzeitsnacht erschreckt? Was war in der
Zweisamkeit der ehelichen Kemenate vorgefallen?
    Wahrscheinlich hat sie fürchterlichen Unsinn geredet, überlegte
Clara, wie ja jetzt auch. Weshalb sollte ausgerechnet Theo großes Unglück über alle
Frauen in seinem Leben bringen – jener Mann, der ihr das eigene gerettet und
ihm Sinn gegeben hatte!
    Aber immerhin hatte die Königinwitwe, die mehr erfasste als andere
Menschen – wie Blanka vielfach bewundernd behauptete –, von seiner Scheidung
und voraussichtlichen Wiederverheiratung gesprochen, wahrlich ein Grund zum
Jubeln. Wen anders sollte Theo erwählen als sie selbst? Sie, die sich mit
allen Banden der Menschheit an ihn geknüpft fühlte. Bestimmt hatte er diesen
Plan von langer Hand vorbereitet. Clara hüpfte vor Erwartung der seligen Stunde
das Herz im Leibe. Es war ein großer Tag in ihrem Leben.
    Das war es auch, obgleich er gänzlich anders endete, als
sie sich ausgemalt hatte. Noch am selben Abend sollte sie erfahren, wie sehr
sie sich in dem Mann und seinen vermeintlichen Gefühlen für sie geirrt hatte.
Nur wenige Stunden nach dem belauschten Gespräch im Königssaal würde sie einen
Pfad betreten, der sie von Grund auf ändern und fortan ihr eigenes Leben sowie
das vieler anderer Menschen bestimmen sollte.
    Blankas erste Hofdame, Agnes von Beaujeu, eine enge
Freundin Claras, verneigte sich vor ihrer Herrin, die offenbar in tiefes
Nachdenken versunken auf ihrem gepolsterten Sessel saß.
    »Graf Theobald bittet untertänigst um die Gnade, empfangen zu
werden.«
    Blanka öffnete die Augen, verscheuchte die Wehmut aus ihrem Blick,
bedachte Agnes mit einem freundlichen Lächeln und nickte.
    »Er möge eintreten.«
    Der heitere Theobald würde ihr
mit seinen albernen Liedern jetzt
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