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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin
Autoren: Martina Kempff
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wir
meistens vor Verfolgung sicher.«
    Entsetzt stellte Clara fest, dass sie immer noch die fremde Hand
hielt. Sie entzog sie dem Mann und fauchte: »Häretiker!«
    »Das hast du doch schon damals gemerkt«, erwiderte er, ohne
jeglichen Vorwurf in der Stimme. »Du hättest uns verraten und dadurch reich
werden können. Warum hast du darauf verzichtet?«
    Aus Claras Antlitz war jegliche
Farbe gewichen. An diesem Tag auch noch an das Gemetzel in Marmande erinnert zu
werden, drohte ihre Kräfte abermals zu übersteigen. Sie riss sich zusammen und
flüsterte: »Deine Leute haben mir einst das Leben gerettet, da wäre es
unrecht gewesen, euch das eure zu nehmen.«
    Das Bild des
auseinandergeborstenen Kleinkindkörpers schob sich wieder vor ihr
inneres Auge. Sie schlug beide Hände vors Gesicht und begann zu weinen.
    Sanft berührte er sie an der Schulter.
    »Ich heiße Felizian«, sagte er, »und dränge mich dir nicht auf. Aber
manches Leid kann man nicht einfach vor einer Kirche stehen lassen. Die
irgendwann Notre-Dame ,
    unserer lieben Frau, geweiht werden soll …« Er räusperte sich und fuhr fort:
    »… auf die wir vor der weltlichen Justiz schwören sollen, um unser Leben zu
retten. Was wir nie tun, eben weil wir grundsätzlich nicht schwören. So lieb
uns die Mutter Jesu auch ist.«
    »Die Jungfrau Maria möge mir helfen«, betete Clara, dankbar, ihren
Tränenstrom eingedenk der Muttergottes zum Versiegen gebracht zu haben.
    Felizian öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder, ohne etwas zu
entgegnen. Er wollte die junge, offensichtlich in Bedrängnis stehende Frau
nicht überfordern. Vielleicht könnte er zu gegebener Zeit mit ihr über seine
Zweifel an der Jungfräulichkeit Marias sprechen.
    Er musste sie wiedersehen. Weil sie eine Seele ist, die nach
Erlösung sucht, fiel ihm sehr schnell eine Erklärung ein, die seine eigene
Seele nicht in Not bringen würde.
    »Darf ich dich zu deinem Heim geleiten?«, fragte er. »Sieh, die
Arbeiter steigen schon vom Bau. Die Dunkelheit naht, und da ist es für eine
Frau nicht gut, allein durch die Straßen zu gehen.«
    Heim. Schon das Wort trieb Clara beinahe wieder die Tränen in die Augen. Sie
schüttelte den Kopf.
    »Welchen Weg nimmst du ?«, fragte sie. Erschrocken über die
eigenen Worte sah sie sich den Mann, der sich Felizian nannte, genauer an.
Häretikern wurde Heimtücke und Verschlagenheit zugeschrieben. Doch die offenen
Augen in dem langen, glatt rasierten Gesicht strahlten Vertrauen aus. Jene
Herzenswärme, von der Theobald so gern sang und die sie bei ihm vergeblich
gesucht hatte.
    »Magst du mir deinen Namen nennen?«, fragte er. Die Verlegenheit
in seiner Stimme war echt.
    Felizian hatte noch nie zuvor gewagt oder auch nur den Wunsch
verspürt, eine so schöne und vornehme Frau anzusprechen. Nicht nur ihre
offensichtliche Verwirrtheit und Traurigkeit hatten ihn dazu getrieben, sondern
freudiges Wiedererkennen. Seit jener Versammlung vor knapp vierundzwanzig
Monden war ihm im Wachen und Träumen das Gesicht dieses Mädchens, das die
Versammlung so überhastet verlassen hatte, immer wieder erschienen. Er hatte sich
gesehnt, noch einmal in jene hellgrauen Augen zu blicken, die sich im Rahmen
nachtschwarzer Haare so seltsam ausnahmen. Er wollte die Stimme hören, die in
so einem liebenswerten Körper wohnte, die weißen Hände berühren, die sich so
krampfhaft und hilflos verknotet hatten; er wollte es nicht nur – er musste es.
Um diese bisher ungekannte Flamme in seinem Inneren zu löschen, musste er sich
ihr erneut stellen, enträtseln, was sie entfacht hatte, damit er sich niemals
mehr einem solchen Feuer, einer solchen Gefahr aussetzte. Er hatte alles bisher
in seiner Macht Stehende bemüht: seine Gedanken abgelenkt, sich kasteit,
tagelang gefastet, den Schlaf gemieden und ohne Unterlass gebetet. Ganz gleich,
was er tat oder ließ, das schmale blasse Gesicht mit den hellgrauen Augen, den
glatten schwarzen Haaren und der Frage auf der Stirn schob sich stets aufs Neue
vor sein geistiges Auge. Überzeugt, eine Wiederbegegnung mit der lebendigen
Frau würde ihn heilen, hatte er sie fortan überall gesucht. Denn erst wenn
dieses Verlangen bezwungen war, durfte er daran denken, in den Rang eines Perfectus,
eines Vollkommenen, aufzusteigen. Solange er von einer Frau träumte, auch nur
die Möglichkeit bestand, Satans Verblendung anheimzufallen, wollte und musste
er ein Credens, ein schlichter Glaubender, bleiben.
    »Clara«, beantwortete sie seine
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