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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin
Autoren: Martina Kempff
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Hände, denen drei
Fingernägel fehlten; derart verzweifelt hatte sie sich in Theos Kettenhemd
gekrallt. Sie fiel in Ohnmacht. Den Schmerz verspürte sie erst später.
    Wie von Ferne hatte sie als Nächstes die Stimme des Kronprinzen
vernommen: »Bring sie augenblicklich zu Blanka, meiner geliebten Frau.«
    Blanka. Ein Name, der Rettung und Heimat verhieß.
    Von der Reise selbst blieb ihr nur Theobalds zärtliche Sorge in Erinnerung.
Mehr vor ihm liegend als sitzend, schmiegte sie sich während des Rittes an ihn,
genoss die Wärme, die er ausstrahlte, die Sicherheit des kräftigen Körpers, das
Kitzeln seiner borstigen Barthaare in ihrem Nacken, sogar die Stöße, die auf
unebenen Pfaden beide Leiber auf dem Ross gleichzeitig erschütterten und
einander noch näher brachten. Wie sorgsam er sie auf den Bergstrecken davor
bewahrte, vom Pferd zu gleiten, wie aufmerksam er darauf achtete, ihren Kopf
vor der Sonne zu schützen.
    Auch nach dem Absitzen wich er nie von ihrer Seite, wechselte selbst
die Verbände ihrer Hand, sang sie in den Schlaf und ruhte des Nachts neben ihr.
Unvergesslich die Stunde, da sie in einer hügligen Region an einem frischen
Quell haltgemacht und er ihr Wasser aus der Wölbung seiner Hände angeboten
hatte. Beim Gedanken an seine Haut unter ihren Lippen lief Clara noch stets ein
wohliger Schauer über den Rücken.
    Die goldene Fibel, die ihm Blanka bei der Ankunft in Paris zum Dank
für seine tapfere Tat überreichte, trug er seitdem unablässig.
    Schwierigkeiten im eigenen Land hatten Theobald kurz nach der
Rückkehr aus dem Süden in die Champagne zurückgerufen. Clara vergoss bittere
Tränen, als sie von der durch seine Mutter erzwungenen Eheschließung erfuhr.
Wenn er in den darauffolgenden Jahren am französischen Hof erschien, versäumte
er jedoch nie, ihr eine Aufmerksamkeit mitzubringen, und schürte so das Feuer,
das von ihrer Einbildungskraft ohnehin kräftig gespeist wurde. Als Theobald im
vergangenen Jahr mündig geworden war und somit die Regentschaft über sein Erbe
von seiner Mutter übernommen hatte, fürchtete sie schon, ihn verloren zu haben.
Und war umso gerührter, als er mit neuen Gesängen für seine Dame Blanka sowie
abermals mit kleinen Angebinden und freundlichen Worten für deren Hofdame Clara
regelmäßig in Paris einritt.
    Sie hing an seinen Lippen, wenn er ihr versicherte, welch besonderes
Einvernehmen doch zwischen ihnen herrsche und wie sehr die gemeinsame
Vergangenheit und die Verehrung für Blanka sie miteinander verbinde. Wie sehr
er sich freue, in ihr am königlichen Hof eine solch verwandte Seele gefunden zu
haben. Seine Worte hütete sie wie eine Kostbarkeit. Jedes Lächeln in ihre
Richtung bewies ihr seine respektvolle Gewogenheit, jedes ihr gewidmete Wort
drückte inniges Entgegenkommen aus, und jede freundliche Geste bezeugte ihr
seine Liebe.
    Sie bedauerte jedoch, zu hoch in seiner Achtung zu stehen, als dass
er eine wirkliche Annäherung wagen würde. Seine Ehe erschien ihr kein
unüberwindliches Hindernis. Bekümmerten Blicks äußerte er sich gelegentlich
über diese scheußliche Verbindung, die ihm als Unmündigen aufgenötigt worden
und keinesfalls willkommen gewesen sei. Nie hatte er etwas Freundliches über
seine Gemahlin zu berichten. Warum verstieß er sie nicht einfach? Claras
Vater, der im Jahr zuvor verstorbene Raimund von Toulouse, war fünfmal verheiratet
gewesen, hatte zwei Frauen verstoßen und nebenbei nicht nur mit Claras Mutter,
sondern mit einer Vielzahl anderer Frauen Kinder gezeugt. Edlen Herren wurde
solches nachgesehen.
    Clara fragte sich, wie sie Theobald wohl dazu bringen könne, sich
ein Herz zu fassen und ihr endlich offen seine Liebe zu erklären. Wie nur
konnte sie ihm helfen, sich von seinen Hemmungen zu befreien und die
Schüchternheit ihr gegenüber abzulegen? Wie ihm ihr liebendes Herz bloßlegen,
ihm unmissverständlich zeigen, mit welcher Wonne sie seine versteckte Botschaft
aufnahm? Weshalb fehlte dem ansonsten so beherzten Troubadour der Mut, sich
zu seiner wahren Liebe zu bekennen?
    Sie hatte zwar Blicke und Gesten sprechen lassen, doch der noble
Graf hatte diese vor lauter Respekt wohl nicht in seinem Sinne zu deuten
gewagt. Jetzt blieb ihr nur noch ein Weg zur Erlösung, der unmittelbare; sie
selbst musste die Worte aussprechen, ihm unmissverständlich die eigene Liebe
enthüllen.
    Doch dafür benötigte sie eine Gelegenheit, ihm allein und vom
restlichen Hof ungestört gegenüberzustehen, angesichts der
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