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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin
Autoren: Martina Kempff
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sich an die Brust.
    »Béziers!« Wo siebentausend Menschen ohne Rücksicht auf ihren
Glauben abgeschlachtet worden waren, erinnerte sich Clara an Raimunds Worte.
Ihr wurde schwarz vor Augen. Sie versuchte aufzustehen. Ihre Stimme überschlug
sich: »Das ist doch die Hölle! Das dürfen wir nicht geschehen lassen! Wir
müssen hier sofort weg!«
    »Ja, meine Freundin, bald werden wir wieder daheim sein, im
Himmelreich. Aber leg dich doch hin, du bist noch zu schwach.«
    »Ich will nicht sterben!«
    »Bete und finde Ruhe! Nur durch den Tod kannst du die Macht des
Satans brechen, der dich im Fleisch gefangen hält. Diese unzulängliche böse
Welt gehört ihm, nicht Gott dem Herrn, dem am Wohl aller Seelen gelegen ist,
der Mitgefühl, wahre Hingabe und Verwandlung unseres Wesens fördert. Fürchte
den Tod nicht, meine Freundin. Er wird dir die Erlösung bringen, das
wahrhaftige Leben im Reiche des Herrn. Lass dir von der alten Martha das
Consolamentum erteilen, auf dass auch du nicht wieder auf diese Welt des
Leidens und Elends zurückkehren musst.«
    Clara schwieg. Die junge Frau sprach wirres Zeug. Doch auch die Alte
hatte seltsam geredet. Die Menschen, die ihr das Leben gerettet hatten,
schienen sich in einer anderen Welt zu befinden, ein sehr befremdliches Bild
von Gott zu haben und den eigenen Tod zu begrüßen. Wahrscheinlich hatten diese
bösen Ketzer sie verblendet.
    »Warum nur liefert ihr die Häretiker den Männern des Königs nicht
einfach aus?«, schlug sie flüsternd vor. »Dann könnt ihr gewiss euer Leben
und das der unschuldigen Kinder retten!«
    Die junge Frau starrte Clara einen Augenblick lang an, lächelte dann
sanft und bemerkte gedehnt: »Ja, das sind wohl Namen, die man uns gibt und
die uns nichts bedeuten: Häretiker, Katharer, Albigenser, Ketzer, Bogumilen,
Textores, aber wir sind überhaupt nichts Besonderes und verdienen nicht, mit
solch vielfältigen Bezeichnungen belegt zu werden. Wir mühen uns schlichtweg
darum, gute Menschen zu sein, rechtschaffen zu handeln, den Nächsten zu lieben,
andächtig zu beten und fleißig zu arbeiten. Schwer genug in diesen bösen
Zeiten.«
    Damit entschwand sie leise aus der Kammer und überließ Clara ihrem
Entsetzen, in einem Ketzerhaus gelandet zu sein. Ketzerhaus, wiederholte sie
den Gedanken; das klang viel schlimmer, als es sich anfühlte. Früher hätte sie
sich darunter eine dunkle Höhle mit bedrohlichen Gestalten, krächzenden Raben,
umherhuschenden schwarzen Katzen und Abbildern des Satans vorgestellt. Sie sah
sich in der ungeschmückten Kammer mit den weiß gekalkten Wänden und dem bunten
Teppich auf dem Boden um und schüttelte den Kopf. Diese barmherzigen Menschen,
die sich zwar nicht bekreuzigten, aber sie, eine völlig Fremde, liebevoll
pflegten und sich Umstände damit machten, einer Fliege das Leben zu retten, sollten
eine vergleichbare Bedrohung für die Christenheit darstellen wie die grausamen
Muselmanen?
    Und doch muss ich hier weg,
dachte Clara, fort aus dem Ketzerhaus und aus diesem Marmande. Ich gehöre doch
zum Hof des Königs! Seine Ritter sollen mich nicht töten, sondern
beschützen! Aber Männer des Königs haben mich in die Garonne geworfen. Sie
wussten eben nicht, wer ich bin, hielten mich für eine Ketzerin. Aber wer bin
ich wirklich? Weiß ich es denn selbst? Ich bin die Tochter des Grafen von
Toulouse. Und Königin Blankas Hofdame, ihr Schützling. Das geht offenbar nicht
zusammen. Ich muss fort von hier – zu Ludwigs Männern. Der Kronprinz, den man
den Löwen nennt, ist Blankas Gemahl; er wird mich schon hier herausholen und in
Sicherheit bringen.
    Sie sprang aus dem Bett, doch die Beine versagten ihr den Dienst.
Nach zwei Schritten vom Bett zur Tür stolperte sie über ihre eigenen Füße,
brach zusammen und riss im Fallen einen schweren Wasserkrug vom Sims.
    Die junge Frau stürzte herbei.
    »Du musst dich schonen«, sagte sie und schob mit dem Fuß die
Scherben beiseite.
    »Nein!«, schrie Clara. »Ich gehöre nicht hierher! Ich muss
gehen, und ich werde gehen! Sofort!«
    Ihre Augen flackerten, wie von wildem Feuer gespeist. Schwer auf die
Schulter der viel kleineren jungen Frau gestützt, tat sie einen weiteren
Schritt zur Tür. Dann lagen beide Frauen auf dem Boden.
    »Sofort«, sagte die junge Frau leicht keuchend »sollten wir auf
später verschieben.«
    Sie sprach noch etwas, doch ihre
Worte gingen in einem dumpfen Dröhnen unter, das sich mit einem Mal in ein
ungeheures Getöse verwandelte. Bersten, Krachen,
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