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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin
Autoren: Martina Kempff
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die Kirche übel. Sie fürchtet um ihre Macht und ihren Zehnten und hat
unserem ganzen Landstrich den Krieg erklärt.«
    Seine Worte verwirrten Clara nur noch mehr. Sie schwieg. Raimund hob
sie aus dem Sattel, küsste sie sanft auf den Scheitel und fuhr fort: »Dir ist
ganz offensichtlich unbekannt, was tatsächlich auf dem Spiel steht und was den
Papst bewogen hat, zu diesem …«, er machte eine kleine Pause und brachte dann
zwischen zusammengebissenen Zähnen erbittert hervor: »… Kreuzzug … aufzurufen.«
    Mit beiden Beinen wieder auf festem Grund stehend, meldete sich in
Clara abermals die Widerspenstigkeit, welcher Blanka sie so oft geziehen hatte.
    »Der Heilige Vater wird seinen Grund dafür gehabt haben, unseren
Vater zwei Mal zu exkommunizieren!«, gab sie bockig zurück. Trotz – oder
vielleicht wegen – seiner harten Worte bewunderte sie diesen Bruder, der von
eindrucksvollerer Gestalt und feinerem Wesen war als jeder Ritter, den sie
kannte. Er durfte sie nicht für dumm halten, und so setzte sie hinzu: »Der
Heilige Vater ist Gottes Stellvertreter auf Erden und macht keine Fehler, oder
zweifelst du das etwa an?«
    »Wenn dem so wäre, würde ich es ganz bestimmt nicht dir verkünden«,
erwiderte Raimund, rief einen Ritter herbei und flüsterte ihm etwas zu. Dann
nahm er seine Schwester an die Hand.
    »Das Leben ist weder einfach noch gerecht, Clara«, sagte er, als er
sie zu einer steinernen Bank an der Burgmauer geleitete und sich neben ihr
darauf niederließ. Er blickte über das erblühte Land, über die ausgedehnten
Weinberge, auf denen unzählige ameisengroße Menschen an den Reben arbeiteten,
über das Tal, in dem die Pastel-Pflanze Färberwaid blühte, aus deren Blättern
sich Indigo gewinnen ließ, jenes blaue Gold, das in die ganze Welt gesandt
wurde und Toulouse zu großem Reichtum verholfen hatte. Reichtum, an dem der
Mann in Rom ebenfalls teilhaben wollte.
    »Auch du bist ganz sicherlich schon mal von einem Menschen
enttäuscht worden«, sagte Raimund. Clara dachte an Blankas Zurückweisung und
nickte heftig.
    »Siehst du. Der Heilige Vater ist auch nur ein Mensch. Er kann weder
in die Zukunft sehen noch abschätzen, wie sich die Welt entwickeln wird. Als er
vor zehn Jahren zum Kreuzzug gegen die Albigenser aufrief, hat er bestimmt
nicht damit gerechnet, dass sämtliche Bewohner von Béziers abgeschlachtet
werden würden, sogar jene, die in Gottes Kirche Asyl gesucht hatten.«
    Clara blickte entsetzt auf. »Waren das alles Ketzer?«
    Raimund lachte bitter. »Alle siebentausend Bewohner der Stadt und
die Landbewohner, die in ihr Schutz gesucht hatten? Natürlich nicht. Es waren
Christen wie du und ich. Die Barone aus Frankreich hatten zunächst auch noch
Skrupel. Sie fragten bei der römischen Kirche an, wie sie denn die Ketzer von
den Christen und Juden unterscheiden könnten, da in der Stadt doch alle
friedlich miteinander lebten und arbeiteten. Da forderte ein Stellvertreter von
Gottes Stellvertreter deine so genannten Kreuzritter auf, solch kleinliche
Bedenken abzulegen und die gesamte
Bevölkerung abzuschlachten, Männer, Frauen, Kinder. Gott werde die Seinen schon
erkennen und für sie sorgen, hat er gesagt. Und dann gab es kein Halten.
Alle wurden ermordet. Béziers besteht nicht mehr. Und Toulouse droht das
gleiche Schicksal, wenn wir den Kreuzfahrern das Tor öffnen, so wie du es getan
hast.«
    Clara schüttelte sich. Wo war sie nur hineingeraten! Sie sprang
auf.
    »Ich will hier weg!«, stieß sie hervor.
    »Dafür sorge ich gerade.«
    Raimund stand auf und winkte den Ritter herbei, der, von drei
Männern flankiert, näher trat.
    »Es tut mir leid, Clara, ich kann dir kein größeres Gefolge
mitgeben. Aber du begreifst sicherlich, dass hier jeder wehrbare Mann gebraucht
wird. Gute Reise, meine Schwester, Gott segne
dich und schütze dich vor Schaden und deiner Unwissenheit!«
    In Gedanken versunken, achtete Clara weder auf die
Landschaft um sich herum noch auf den Sonnenstand. Daher entging ihr, dass die
Männer statt der streng nördlichen Richtung eine nordwestliche einnahmen. Die
Getreuen des jungen Raimund nutzten ihren Auftrag, um eine vordringlichere Aufgabe
zu erledigen: nämlich drei der fünf Kreuzritter einzufangen, die am Mittag
zwei Häuser in Toulouse niedergebrannt und ein Dutzend Frauen und Kinder
ermordet hatten. Einer der Kreuzträger hatte sein Ende unter einem brennenden
Balken gefunden; ein anderer war bei der Flucht aus der Stadt von einem uralten
Mann
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