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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin
Autoren: Iny Lorentz
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großen Künstler lauschen zu können.«
    Giulia verstand, dass sie singen musste, um den Räuber bei Laune zu halten. Diesmal tat sie es jedoch weitaus freudiger als beim ersten Zusammentreffen. Als sie Vincenzos liebevollen Blick auf sich gerichtet sah, vergaß sie die Schreckensbilder, die sie während ihrer Gefangenschaft gequält hatten, und sie begann mit jenem Lied, das Vincenzo für sie geschrieben und Galilei vertont hatte.
    Die Räuber setzten sich um sie herum und hörten ihr zu. Sogar die Gefangenen vergaßen für einige Augenblicke ihre missliche Lage. Dies änderte sich jedoch sofort, als Tomasi nach einer Weile die Hand hob und Giulia zum Schweigen brachte. Er wandte sich grinsend den Gardisten zu und befahl seinen Leuten, ihnen die Rüstungen und Kleider auszuziehen. Gleichzeitig bestimmte er sechs seiner Männer, welche die entsprechende Größe besaßen, die Sachen an sich zu nehmen. Obwohl die Räuber schon auf dem Sprung standen, Tomasi zu verlassen und sich über diesen Befehl wunderten, gehorchten sie ihm.
    Die Gardisten fluchten wüst, als ihnen auch noch das Unterzeug abgenommen wurde und sie nackt und bloß vor den Räubern standen. Dem Kutscher und seinen Leuten erging es nicht anders.
    Tomasi winkte Benedetto heran. »Schleppt die Kerle ein paar Meilen durch die Hügel und lasst sie auf der Hauptstraße frei. Danach kommt ihr zum vereinbarten Treffpunkt.«
    Der kahlköpfige Räuber nickte und rief ein paar Kameraden zu sich, die die Gardisten wie Vieh vor sich hertrieben. Die Zurückbleibenden sahen ihnen nach und wussten nicht so recht, was sie tun sollten. Ihr Sprecher, der keinen Zweifel daran gelassen hatte, dass er mit einigen Männern eine neue Bande aufbauen wollte, drehte sich mit verkniffener Miene zu Tomasi um und tippte mit dem Fuß gegen die Rüstungsteile, die vor ihm lagen. »Was soll das eigentlich? Ich habe keine Lust, als päpstlicher Gardist durch die Gegend zu laufen.«
    Tomasi lachte schallend. »Wirf das Zeug in den nächsten Tümpel. Die Gefangenen sollten nur glauben, dass wir es benützen wollen. Sie werden es mit Sicherheit weitermelden. Damit wird man kleineren Soldatengruppen einige Tage lang misstrauen und uns damit die Flucht erleichtern.«
    Der neue Räuberhauptmann starrte die Gardistenrüstung an und schien zu überlegen, ob er sie nicht doch brauchen könnte. Schließlich hob er sie auf und bedeutete seinen Männern, ihm zu folgen. Obwohl sie jahrelang mit Tomasi und seinen Getreuen zusammen gelebt und viele Gefahren gemeinsam bestanden hatten, gingen sie ohne Abschied.
    Tomasi wusste, dass ihn einige seiner alten Bande für eine Hand voll Dukaten verraten würden, aber es kümmerte ihn nicht. Er trat noch einmal in die Höhle und kam mit einem großen Bündel zurück, das er Giulia und Vincenzo vor die Füße warf. »Der Kastrat soll sich als Frau verkleiden. Da fällt er weniger auf. Du solltest ebenfalls ein anderes Gewand anziehen. Sonst erkennt dich jeder päpstliche Soldat auf hundert Schritt.«
    Assumpta bückte sich und öffnete das Bündel. Ein hellblaues Kleid und eine blonde Perücke lagen obenauf. Sie raffte es an sich und wies auf die Hütte. Giulia nickte zustimmend und folgte ihr hinein. Als sie fertig waren, musterte die Dienerin Giulia prüfend. Als Frau sah sie für einen Kastraten viel zu gut aus. Die langen Haare gaben ihrem Gesicht eine weiche Note und betonten die großen, dunklen Augen. Zum Glück war das Kleid nicht tief dekolletiert, so dass Giulia ihr Brustband anbehalten konnte. Trotzdem wirkten ihre Formen beinahe perfekt.
    Vincenzo und die Räuber hatten sich bereits fertig umgezogen, als die beiden Frauen wieder ins Freie traten. Vincenzo trug ein grünes Wams mit gelben Hosen, während Tomasi ganz in Schwarz gekleidet war. Sie beide würden als Edelleute auftreten, während die restlichen Räuber die Livreen trugen, die sie als hochherrschaftliche Diener auswiesen. »Wir werden jetzt ein Stück über Land reiten«, erklärte der Hauptmann. »Renzo wird die Alte vor sich in den Sattel nehmen und …«
    »Casamonte nehme ich«, rief Vincenzo dazwischen. Er wollte sich die Chance nicht entgehen lassen, Giulio endlich einmal im Arm zu halten. Da der Kastrat nicht protestierte, hob er ihn aufs Pferd und schwang sich hinter ihm in den Sattel. Sofort sprachen seine Sinne auf Giulio an, und er musste an sich halten, um nicht in wollüstiges Stöhnen zu verfallen. Ohne die Räuber und zu einer anderen Zeit hätte er Giulio in die
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