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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin
Autoren: Iny Lorentz
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weg von den Waffen!«, rief er.
    Ludovico hörte die Reiter fluchen. Jeder von ihnen hatte eine Flinte über der Schulter und zwei geladene Pistolen in den Satteltaschen stecken. Solange sie jedoch die Räuber nicht sehen konnten, war es Selbstmord, die Waffen zu ziehen.
    Der Kutscher und seine beiden Helfer hoben die Hände über den Kopf. Ludovico aber sah sich gehetzt um. Aus den Wortfetzen, die von oben herabdrangen, konnte er entnehmen, dass die Räuber die Absicht hatten, den Kastraten zu befreien, und er-stickte beinahe an seinem Hass. So kurz vor Rom durfte die Hexe ihm nicht entkommen. Sein Blick fiel auf die Flinte des Kutschers, die nur wenige Handbreit neben seiner linken Hand auf der Sitzbank lag. Ohne sich darüber im Klaren zu sein, ob er auf die Banditen schießen oder Giulia umbringen wollte, packte er die Waffe und riss sie hoch. Noch bevor er begriff, dass die Lunte nicht angezündet war, reagierten die Räuber. Drei, vier Flinten krachten los, rissen Ludovico hoch und schleuderten ihn von der Kutsche.
    Der im Hohlweg widerhallende Knall der Schüsse ließ die Pferde scheuen. Als die Reiter ihre Tiere endlich wieder in der Gewalt hatten, waren die Räuber bei ihnen und richteten ihre Flinten auf sie. »Absteigen!«, befahl der Anführer.
    Die Gardisten starrten ihren Hauptmann an, der vor Wut schier platzte. Als seine Befehle ausblieben, stiegen sie von den Pferden und ließen sich von den Räubern fesseln. Schließlich sah auch der Hauptmann ein, dass er dem Papst tot weniger nützen würde als lebend, und ergab sich.
    Benedetto war unterdessen zu dem verkrümmt neben der Kutsche liegenden Ludovico getreten und stieß ihn mit der Fußspitze an. »Der Kerl ist mausetot. Was musste er auch so dumm sein, die Waffe zu heben, wenn er ein halbes Dutzend Flintenläufe auf sich gerichtet sah.« Lachend stieg er über den Toten und öffnete die Kutsche. »Willkommen, Singvögelchen. Ich bin sicher, du wirst es nicht bedauern, dass deine Reise nach Rom hier ein so abruptes Ende nimmt.«
    Giulia hatte jedoch nur einen Blick für den schlanken jungen Mann mit wirren, dunkelblonden Haaren, der sichtlich bewegt auf die Kutsche zueilte und dabei so aussah, als wüsste er nicht so recht, was er sagen sollte. »Vincenzo! Madonna mia! Was bin ich froh, dich zu wiederzusehen! Ich … ich habe dir so viel zu sagen.« Erst Assumptas mahnendes Räuspern gemahnte sie daran, dass sie in ihrer Freude die Räuber vergessen hatte. Tomasi und seine Männer grinsten zwar recht selbstzufrieden, aber sie kannte die Männer gut genug, um zu wissen, dass ihre Stimmung jederzeit umschlagen konnte. Wenn sie erfuhren, dass der Kastrat, den sie befreit hatten, in Wirklichkeit eine Frau war, würde es ihr übel ergehen. Daher reichte Giulia Vincenzo nur kurz die Hand und verschob ihre Beichte auf eine Zeit, in der sie beide allein waren.
    Vincenzo spürte Giulios Anspannung, dachte jedoch, dass es wegen seiner Gefangenschaft sei, und lächelte seinem Freund aufmunternd zu. »Ich freue mich auch, dich zu sehen, Giulio. Es war nicht einfach, dich zu befreien, aber wie du siehst, ist es mir geglückt.« Es war zwar etwas viel Eigenlob, aber er wollte sich Giulio im besten Licht zeigen.
    Die Räuber ließen ihm die Freude. Ein Teil von ihnen räumte die Barrikade aus Zweigen beiseite. Benedetto stieg auf den Kutschbock und schnalzte mit der Zunge. Tomasi forderte Vincenzo und Giulia zum Einsteigen auf und gab den Befehl zum Aufbruch. Den toten Ludovico ließ er unbeachtet im Graben neben der Straße liegen, die Gardisten aber befahl er mitzunehmen. Nach einer knappen Meile bogen sie von der Straße in einen Feldweg ab und erreichten nach etlichen Stunden die Räuberhöhle. Den Gardisten, dem Kutscher und seinen Gehilfen hatte der harte Marsch arg zugesetzt. Sie stolperten in ihren schweren und unbequemen Stiefeln auf die Hütte zu und ließen sich stöhnend in ihrem Schatten nieder. Vier Räuber, die ebenso wie Benedetto bei Tomasi bleiben wollten, bewachten sie, während der Rest seine Sachen packte.
    Tomasi rief Giulia zu sich, die sich bisher mit Assumpta im Hintergrund gehalten hatte. »Ich glaube, es ist Zeit, unseren kühnen Streich zu feiern«, rief er laut genug, damit ihn auch die Gefangenen hören konnten. Dabei reichte er Giulia einen Becher Wein. »Kein Glas, wie du siehst. Dafür ist mir deine Stimme doch etwas zu mächtig. Ich würde mich freuen, etwas von dir zu hören. In meinem Stand hat man selten die Gelegenheit, einem
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