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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin
Autoren: Iny Lorentz
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angetan hätten. Unter der Folter werden sogar aus Engeln Teufel gemacht – so heißt es doch.«
    Vincenzo schenkte Assumpta ein freundliches Lächeln und blickte Giulia ängstlich an. »Du bist mir also nicht böse deswegen?«
    »Um Gottes willen, nein. Du hast das einzig Richtige getan. Ich bin sehr stolz auf dich, Vincenzo. Niemand anders wäre so mutig gewesen, mit diesem Teufel Tomasi zu verhandeln und ihn dazu zu bewegen, mir zu helfen. Du hast dein Leben riskiert, um mich zu befreien, und das werde ich dir nie vergessen. Vincenzo, ich … ich bin so froh, dass du wieder da bist. Ich habe dich schrecklich vermisst. Bitte verlass mich nicht noch einmal. Ich will dir auch keinen Grund mehr dazu geben, glaube mir …« Sie breitete die Arme aus, um Vincenzo zu umarmen, sah dann aber einen Bauern, der vom Feld aus zu ihnen hinüberstarrte, und ließ sie wieder sinken. Mit einem künstlich heiter klingenden Lachen fuhr sie fort. »Und ganz so arm sind wir dann doch nicht. Ich besitze noch die Belohnung, die mir Comte Biancavallo zukommen ließ. Die Summe reicht aus, um irgendwo weit jenseits des Kirchenstaats neu anfangen zu können.«
    Während Vincenzo sichtlich aufatmete, wies Assumpta nach Westen, wo die Sonne nur noch wenige Fingerbreit über dem Horizont stand. »Zuerst müssen wir uns nach einer Unterkunft umsehen. Ich habe nämlich wenig Lust, auf der Straße zu übernachten.«
    »Ich auch nicht.« Vincenzo schwang sich lachend auf den Bock und trieb die Pferde an. Etwa zwei Meilen weiter kam ein großes Gebäude in Sicht, dessen Herbergsschild gutes Essen und Unterkunft versprach. Bevor sie es erreichten, öffnete Vincenzo die Klappe zum Kutscheninneren. »Als was sollen wir in der Herberge auftreten, Giulio, als Bruder und Schwester oder als Mann und Frau?«
    »Als Ehepaar«, bestimmte Assumpta, bevor Giulia etwas sagen konnte. »Wenn ihr euch als Geschwister ausgebt, könnten die Leute womöglich glauben, ihr wärt ein Liebespaar auf der Flucht.«
    »Und was meinst du, Giulio?« Vincenzo wollte nicht über den Kopf des Kastraten hinweg bestimmen, obwohl er Assumptas Vorschlag für den besten hielt.
    Giulias Gedanken überschlugen sich. Als Ehepaar aufzutreten, bedeutete ein gemeinsames Zimmer für sie und Vincenzo, etwas, das sie gleichermaßen fürchtete wie herbeisehnte. Doch Assumpta hatte Recht. Als Ehepaar würden sie keinerlei Neugier erregen, und irgendwann musste Vincenzo sowieso die Wahrheit erfahren. Sie hoffte nur, dass er sich dann nicht enttäuscht von ihr abwenden würde. »Also gut, spielen wir eben Mann und Frau«, sagte sie mit einem gepressten Auflachen.
    Vincenzo nickte zufrieden und zog den rechten Zügel stramm. Die Pferde bogen gehorsam auf den Hof der Herberge ein, wo ihnen ein Stallknecht diensteifrig entgegenkam. »Willkommen in der Goldenen Sonne«, begrüßte er die Reisenden, als er von Vincenzo den Zügel übernahm. »Ihr erhaltet hier alles, was Euer Herz begehrt.«
    Vincenzo ließ seinen Blick über den Hof schweifen und entdeckte weiter hinten einen kleinen, zweirädrigen Wagen, der groß und bequem genug für drei Leute schien. Er deutete darauf. »Ist das Gefährt dort zu verkaufen?«
    Der Knecht schob seine Mütze in den Nacken. »Da muss ich den Patron fragen. Aber möglich wäre es schon.«
    »Dann hole den Wirt«, forderte Vincenzo ihn auf.
    Er stieg vom Bock und öffnete den Schlag des Reisewagens. Giulia und Assumpta kletterten ein wenig steifbeinig ins Freie. Die Dienerin jammerte über ihre schmerzenden Glieder, folgte dann aber zusammen mit Giulia einer Magd ins Haus. Während Vincenzo mit dem Wirt über den Tausch ihrer Kalesche gegen den kleineren Wagen verhandelte, half Assumpta ihrem Schützling aus den ungewohnten Frauenkleidern und löste ihr zuletzt die Brustbinde, die sie aus Angst vor den Räubern seit Tagen nicht mehr hatte ablegen können.
    Die Dienerin tätschelte erleichtert den Busen der jungen Frau. »Wollen wir hoffen, dass du diese Pracht nicht noch einmal so grausam einschnüren musst. Das ist auf Dauer nicht gesund.«
    Giulia ging nicht darauf ein. Sie schnüffelte ein paarmal und verzog das Gesicht. »Endlich kann ich mich wieder richtig waschen. In der Gesellschaft der Räuber war es ja leider unmöglich.«
    Assumpta nickte lächelnd, so als sei ihr ein guter Gedanke gekommen. »Ja, Kind, das solltest du tun. Warte einen Augenblick. Ich laufe schnell in die Küche und hole dir warmes Wasser.« Ehe Giulia noch etwas sagen konnte, hatte sie
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