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Die kalte Koenigin

Die kalte Koenigin

Titel: Die kalte Koenigin
Autoren: Douglas Clegg
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Obsidianscheiben auf die Augen gelegt, um sie nicht ansehen zu müssen, als sie sie eingesperrt hatten – und damit
sie ihrerseits nicht die Priester sah und sich an ihre Gesichter erinnern konnte. Dennoch schien mir ihr Blick aus diesen Augen zu folgen, als ob sie sie zum Sehen gebrauchen könnte. Ich entfernte die Scheiben, und sie blickte mich an, als fragte sie sich, ob ich ihr Schaden zufügen wollte. Ihr Haar war mit einem pulverförmigen Färbemittel dunkel gefärbt worden, aber trotzdem waren dazwischen noch immer Strähnen ihrer strohblonden Ursprungsfarbe zu erkennen, wie Stemenlicht, das einen verdüsterten Strom erhellt. Selbst die Farbe ihres Haares jagte den Priestern Angst ein, daher hatten sie sie mit dem Puder verdeckt, der auch verwendet worden war, um Ixtars Leib damit zu bedecken. In Pythias Haar waren lange Federn eingeflochten, die leuchtend rot, golden wie die Sonne, blau wie Lapislazuli und so grün wie der dunkelste Smaragd waren. Ihre Lippen mussten mit einer dunkelroten Farbe bemalt worden sein.
    Sie war mit einem wunderbaren goldenen Tuch bedeckt worden. Darauf waren Bilder von irgendeinem Dschungelgott zu sehen, ebenso wie die Krümmungen und Wölbungen eines örtlichen Schlangengottes. Federn umrahmten ihre Schultern, und Schlangenhaut war um ihre Arme gewickelt, während sie auch goldene Ketten und Handschellen an ihren Handgelenken trug. Der Kittel unter ihrem königlichen Gewand schien aus Spinnweben gefertigt zu sein und hüllte ihre Gestalt so vollkommen ein, als hätte eine Brutstätte von Spinnen sie gefangen und eingesponnen. Die Priester von Aztlanteum hatten sie in dieser Nacht in ihre Gefiederte Schlange verwandelt und ihre Flügel mit Silber- und Obsidianschmuck behängt, damit sie nicht die Flucht aus ihrem Gefängnis ergreifen konnte.

    Zu ihren Füßen wanden sich Hunderte von langen, braungelben Schlangen, deren Schwanzspitzen sich schnell bewegten und rasselten. Eine gelbgrüne Python, mehrere Ellen lang und so dick wie der Arm eines Kriegers, krümmte sich um Pythias Hüften, als ob sie sie umarmte.
    Sie blickte zu mir auf, überrascht, dass ich zu ihr gekommen war. »Siehst du, wie er ist?«
    »Einst fand ich in einem Turm eine junge Frau«, erwiderte ich sanft. »Ich dachte, ich befreite sie aus ihrer Gefangenschaft. Aber sie verwandelte sich in einen Drachen und fiel über mich her.«
    Sie wandte sich von mir ab und blickte die gegenüberliegende Wand an. »Und einst war da die Prophetin einer Insel, die Tochter eines Mannes, der eines Tages zum Priester von Monstern werden würde. Und als sie sich an ihren Tisch setzte und in die Löcher der Erde sah, aus denen die Götter zu ihr sprachen, erblickte sie einen Jüngling, der erst in der Zukunft geboren werden würde. Er würde zweimal zu ihr kommen. Beim ersten Mal würde sie ihn lieben. Beim zweiten Mal würde er sie vernichten. Und diese Seherin, diese Jungfrau der Pythons, sie schwor, dass sie diese Dinge niemals geschehen ließe, und dass sie diesen Jüngling, wenn sie ihm je begegnete, ermorden würde, bevor sie ihn gut genug kenne, um ihn zu lieben.«
    »Wenn du einst eine Prophetin warst, warum hast du dies dann nicht vorhergesehen?«
    »Die Weissagungen gewähren uns einen quälend flüchtigen Blick und nehmen uns dann die Sicht, wenn der Augenblick des Schicksals naht.«
    Ich griff um sie herum und zog die Schlangen fort, die sich um ihre Schultern und ihren Umhang schlangen. Ihre Flügel
falteten sich langsam zusammen und wurden eingezogen. Als sie wieder zu mir aufsah, schien das goldene Antlitz aus Fleisch und Blut zu sein. Sie erschien mir wieder wie sie selbst, so wie sie in jenem Turm gewesen war, als ich ihr zum ersten Mal begegnet war. Die Emotionen, die mich in diesem Augenblick durchströmten, konnte ich nicht von meinen Gedanken trennen – ich erinnerte mich an die menschliche Liebe. Nicht die Liebe des Ewigen oder die des Sterblichen oder Unsterblichen. Ich erinnerte mich an jenen Ort, an dem ich Alienora in meiner Jugend in den Armen gehalten hatte – zu jener Zeit der völligen Unschuld, als ich noch nicht gesehen hatte, wie die Maske der Welt abgenommen worden war, um mir die Hässlichkeit und den Tod zu zeigen, die darunter verborgen lagen, den Fluch, der unter dem Antlitz der Segnung lauerte. Sie war unter dieser Maske, unterhalb ihres unsterblichen Lebens also nur eine Frau. Ich hatte sie als Bestie betrachtet, da Nezahual sie mit Blutflecken auf Gesicht, Hals, Armen und Brüsten am
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