Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kälte Des Feuers

Die Kälte Des Feuers

Titel: Die Kälte Des Feuers
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
diesmal teilte sie nicht mit Lena den Körper, so wie vor zwei Nächten, sondern mit Jim: Ein Spiegel hätte ihr bestimmt das Gesicht eines zehnjährigen Jungen gezeigt. Das Grauen des Restaurants kehrte nun mit überaus deutlichen Bildern zurück, die Holly nicht aus ihrem Gedächtnis verdrängen konnte, und sie schauderte heftig.
    Einmal mehr blickte sie zum Fenster, sah nach draußen und hielt vergeblich nach Jim Ausschau. Sie machte sich große Sorgen um ihn.
    »Seine Eltern traten mehrere Tage lang in einem Klub von Atlanta auf«, sagte Henry. »Sie wollten in Jimmys Lieblingsrestaurant zu Mittag essen, das er bereits von einem anderen Besuch in Atlanta kannte.«
    Hollys Stimme vibrierte, als sie fragte: »Wer war der Mörder?«
    »Ein Wahnsinniger. Das ist es ja gerade. Es steckte überhaupt keine Bedeutung dahinter. Nur ein Amokläufer, der wild um sich schoß.«
    »Wie viele Menschen starben?«
    »Eine Menge.«
    »Wie viele, Henry?«
    »Vierundzwanzig.«
    Holly dachte an den jungen Jim Ironheart in jenem Inferno, stellte sich vor, wie er über Leichen hinwegkroch, schmerzerfüllte und entsetzte Schreie hörte, wie er Blut und Erbrochenes roch, Galle und Urin, wie er von Kugeln zerfetztes Fleisch sah. Erneut hörte sie die automatische Waffe Ra-ta-ta-ta-ta-ta-ta-ta , das Bitte-bitte-bitte-bitte der jungen Kellnerin. Nur ein Traum, ja. Aber das Grauen gewann darin ein schier unerträgliches Ausmaß. Der vom Zufall bestimmte Schrecken und die Grausamkeit des Menschen, in einem einzigen Erlebnis komprimiert - eine unvorstellbare Qual. Selbst ein Erwachsener hätte viele Jahre und vielleicht sogar ein ganzes Leben gebraucht, um sich davon zu erholen. Ein zehnjähriger Knabe konnte mit so etwas unmöglich fertig werden. Für ein Kind war es vielleicht notwendig, aus der Realität dieser Erfahrung zu fliehen und in einer Fantasiewelt Zuflucht zu suchen, um nicht ganz und gar den Verstand zu verlieren.
    »Nur Jimmy überlebte«, sagte Henry. »Wenn die Polizei einige Sekunden später eingetroffen wäre, hätte es ihn ebenfalls erwischt. Die Beamten erschossen den Mann.« Er schloß die Finger etwas fester um Hollys Hand. »Sie fanden Jim in einer Ecke, auf Jamies Schoß, auf dem Schoß seines Vaters, in den Armen seines Daddys, von … von seinem Blut besudelt.«
    Holly entsann sich an das Ende des Traums …
    … und es gibt keinen Ausweg mehr, denn der Wahnsinnige nähert sich. Er wirkt so entsetzlich, so böse und grauenhaft, daß sie nicht beobachten kann, wie er sich nähert, sie will nicht sehen, wie er die Waffe auf sie richtet, so wie auf das rothaarige Mädchen, und deshalb dreht sie den Kopf zur Seite, blickt in das Gesicht des Toten …
    … und sie erinnerte sich daran, daß sie plötzlich erwachte und voller Abscheu nach Luft schnappte.
    Wenn ihr Zeit genug geblieben wäre, einen Blick in das Gesicht zu werfen, so hätte sie bestimmt Jims Vater erkannt.
    Erneut klang das Kreischen durch den Aufenthaltsraum, noch lauter diesmal. Zwei alte Leute gingen zum Kamin, um festzustellen, ob Vögel hinter der Luftklappe des Schornsteins festsaßen.
    »Vom Blut seines Vaters bedeckt«, wiederholte Henry leise. Inzwischen waren viele Jahre vergangen, aber es konnte kein Zweifel daran bestehen, daß ihm die Gedanken an jenes Ereignis noch immer heftigen seelischen Schmerz bereiteten.
    Der Junge hockte damals nicht nur auf dem Schoß seines toten Vaters, sondern mußte auch gewußt haben, daß irgendwo die Leiche seiner Mutter lag, daß er zur Waise geworden war.
    Jim saß auf einer Redwood-Bank im Garten des Pflegeheims Fair Haven. Niemand befand sich in der Nähe.
    An diesem Tag im späten August erreichte die jahreszeitlich bedingte Dürre ihren Höhepunkt, und deshalb wirkten die dunklen Regenwolken ungewöhnlich. Doch Jim hatte das Gefühl, daß sie keine Nässe brachten, sondern die Asche eines kalten Feuers. Späte Sommerblumen wuchsen in Beeten und neigten sich halb über die Pfade, aber ohne hellen Sonnenschein trübten sich ihre bunten Farben. Die Bäume erzitterten, als fröstelten sie in der leichten Brise. Etwas kam. Etwas Dunkles schlich heran.
    Jim klammerte sich an Hollys Theorie fest. Er dachte immer wieder daran, daß sich nur dann etwas manifestieren konnte, wenn er es wollte. Er brauchte nur die Kontrolle über sich zu wahren, um jede Gefahr zu bannen.
    Trotzdem fühlte er, daß etwas kam. Etwas.
    Er hörte das Krächzen der Vögel.
    Das Kreischen verklang.
    Nach einer Weile ließ Holly Henry
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher