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Die Jungfrau im Lavendel

Titel: Die Jungfrau im Lavendel
Autoren: Danella Utta
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lachte es, vom Digner-Paß in aller Früh, durch die Provence ein Jauchzen strich, im selben Sattel saßen sie und küßten sich und küßten sich.‹«
    »Von dir?«
    »Nö, zum Dichter habe ich es noch nicht gebracht. Börries von Münchhausen, soweit ich mich erinnere. So was habt ihr in eurer Schule natürlich nicht gelernt.«
    »Nein.«
    »Ich in der Schule leider auch nicht. Aber davon hat Juschi ein riesiges Repertoire. Du kannst ihr keinen größeren Gefallen tun als sie Gedichte und Balladen aufsagen zu lassen. Stundenlang macht sie das.«
    »Das finde ich großartig.«
    »Juschi ist überhaupt großartig, das wirst du schon noch merken. Was sie in die Hand nimmt, das funktioniert. Wird dir auch nicht anders gehen. So, und nun mußt du langsam Abschied nehmen von der schönen Provence.« Doch die Berge nahmen noch lange kein Ende, begleiteten sie bis Grenoble. Hier stiegen sie aus, machten einen Rundgang durch die Stadt.
    Als sie weiterfuhren, sagte Clemens: »Ich möchte ja nicht unbedingt vierundzwanzig Stunden am Steuer sitzen. Ich stell mir vor, wir fahren bis zum Lac d'Annecy, da gibt es hübsche Hotels, da essen wir toll zu Abend und schlafen eine Runde. Morgen kommen wir zum Genfer See, und ich zeige dir die Schweiz. Einverstanden?«
    Virginia nickte. »Hier bist du der Boss.«
    Er lachte.
    »Langsam lernst du es, dich verständlich auszudrücken.«
    Beim Abendessen erzählte er von sich, von seiner Arbeit. Studium, dann ein Jahr in einer Redaktion in den USA, und seitdem arbeitete er als freier Reporter, verkaufte seine Beiträge sowohl an Tageszeitungen als auch an illustrierte Blätter.
    »So lebt es sich natürlich relativ locker«, sagte er. »Aber irgendwann werde ich mich mal um einen festen Job an einer Tageszeitung bemühen, und zwar bei einer möglichst seriösen. Denn, daran besteht ja kein Zweifel, wenn ich schon kein ehrenwerter Jurist geworden bin, muß ich es wenigstens eines Tages zum Chefredakteur bringen. Drunter tut Juschi es nicht.«
    »Du liebst deine Mutter sehr, nicht wahr?« fragte Virginia.
    »Hm. Wir mögen uns alle recht gut leiden. Was nicht heißt, daß wir uns nicht auch mal in die Wolle kriegen. Mein Bruder und ich zum Beispiel, er kann manchmal so trocken sein, daß es staubt. Na, und Angela, meine Schwester, wie die so in deinem Alter war, mit der habe ich mich pausenlos gestritten. Das war vielleicht eine verdrehte Schraube. Alles wußte sie besser, überall steckte sie ihre Nase hinein, und die komischen Knaben, die sie anschleppte, erst von der Schule, dann von der Uni, die hockten ständig bei uns rum, mußten von Juschi ernährt werden, und mich behandelten sie, als sei ich unterbelichtet.«
    »Und heute? Verstehst du dich jetzt besser mit deiner Schwester?«
    »Na, fabelhaft. Seit sie verheiratet ist, kann man sie als normalen Menschen einstufen.«
    Virginia vergaß wirklich, was hinter ihr lag. Es war eine ganz fremde Welt, von der sie hörte. Eine Familie, die zusammenhielt, die sich liebte und dennoch miteinander stritt, wo jeder am Leben des anderen teilnahm. Wie würde sie sich da bloß zurechtfinden?
    »Wenn es dir bei den Landaus nicht gefällt«, hatte Anita am Tag zuvor gesagt, »kannst du jederzeit zu mir kommen, das weißt du ja.«
    Schule, Ausbildung, Studium vielleicht, ein Beruf – das Leben fing erst an.
    »Wollen wir schlafen gehen?« fragte Clemens gegen elf. »Wir sind sowieso die letzten hier. Die Franzosen sind solide Leute.«
    Hand in Hand stiegen sie die Treppe hinauf, ihre Zimmer lagen nebeneinander im ersten Stock.
    Clemens hielt ihre Hand fest.
    »Einen Gutenachtkuß, wenn ich bitten darf.«
    Sie hielt still, als er sie küßte, aber sie erwiderte den Kuß nicht, das hatte sie noch nicht gelernt. Und nun auf einmal dachte sie doch wieder an Alain. An seinen Kuß.
    »Gute Nacht«, sagte sie leise.
    Clemens hielt sie noch immer fest.
    »Willst du wirklich allein in diesem Zimmer schlafen? Es ist sowieso höchst ungewöhnlich, wenn man in Frankreich zwei Zimmer nimmt. Hast du es bemerkt? Die schauen dich an, als seist du nicht ganz dicht.«
    Nein, das hatte Virginia nicht bemerkt. Es war das erstemal in ihrem Leben, daß sie in einem Hotel übernachtete, da gab es viele Dinge zu schauen, und ein wenig schüchtern war sie schließlich auch.
    Als Clemens die Angst in ihrem Gesicht sah, das Nicht-verstehenkönnen, begriff er, daß er zu weit ging. Es war viel, was sie erlebt hatte, viel, was sie verstehen und verarbeiten mußte. Er küßte
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