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Die Jungfernbraut

Titel: Die Jungfernbraut
Autoren: Catherine Coulter
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London bist. Hör nicht auf Mutter.«
    Sinjun stieß einen schweren Seufzer aus. »Mutter macht mir das Leben wirklich schwer, Douglas«, klagte sie. »Sie sagt, ich müsse jetzt schleunigst unter die Haube kommen, denn andernfalls würde ich als Ladenhüter im Regal verstauben — im gefürchteten Regal der alten Jungfern, wie sie jedesmal taktvoll betont. Und dann malt sie mir die damit verbundenen Schrecken aus, beispielsweise, daß ich nach ihrem Tod von Alex als Aschenbrödel behandelt würde. Sie hat sogar behauptet, daß mir die erste Jugendfrische schon abhanden gekommen sei, und als ich mich daraufhin im Spiegel betrachtete, kam es mir fast so vor, als hätte ich Falten im Gesicht.«
    »Hör nicht auf sie. Ich bin das Familienoberhaupt. Du sollst dich amüsieren und nach Herzenslust lachen und flirten. Wenn du keinen Mann findest, der dir gefällt, so ist das völlig unwichtig.«
    Seine Stimme war so streng und hoheitsvoll, daß Sinjun unwillkürlich lächeln mußte. »Ich bin neunzehn, und Mutters Ansicht nach ist es eine Katastrophe, wenn ein Mädchen in diesem Alter noch nicht verheiratet ist und nicht einmal einen Verehrer aufweisen kann. Sie verweist sogar darauf, daß Alex dich mit achtzehn geheiratet hat. Und Sophie hat unheimliches Glück gehabt, daß sie Ryder umgarnen konnte, sagt Mutter, denn sie war fast zwanzig und hatte deshalb kaum noch Chancen auf dem Heiratsmarkt. Und dies ist nun schon meine zweite Saison. Mutter rät mir, den Mund zu halten, weil Herren es nicht schätzen, wenn eine Frau mehr weiß als sie. Das treibt sie in Spielhöllen oder läßt sie zur Flasche greifen.«
    Douglas knurrte etwas wenig Salonfähiges.
    Sinjun lachte, aber es war ein gezwungenes Lachen. »Na ja, man kann nie wissen, oder?«
    »Ich weiß nur, daß Mutter zuviel redet.«
    Er war sichtlich verärgert, doch vor Sinjuns geistigem Auge tauchte plötzlich jener Mann auf. Sie lächelte unwillkürlich, und ihre Augen bekamen einen warmen und verträumten Ausdruck. Alex betrachtete die Schwägerin verwundert, sagte aber nur: »Du kannst mir jederzeit dein Herz ausschütten, wenn dir danach ist, Sinjun.«
    »Vielleicht wird das schon bald der Fall sein. Ah, da ist Lord Castlebaum mit den feuchten Händen. Aber ich muß zugeben, daß er sehr gut tanzt. Vielleicht werde ich mich mit ihm über Bücher unterhalten. Bis später.«
    Sie trat Lord Castlebaum dreimal auf die Zehen, weil sie ständig nach jenem Mann Ausschau hielt. Später sagte sie sich, daß ihre Augen sie betrogen haben mußten, daß es derart attraktive Männer überhaupt nicht gab. Aber nachts träumte sie von ihm. Sie standen dicht beisammen, und er strich ihr lachend mit den Fingerspitzen über die Wange, und sie wußte, daß sie ihn begehrte, und sie beugte sich zu ihm vor und wollte ihn berühren, und er konnte ihren Augen ansehen, wie sehr sie ihn begehrte. Dann verschwammen die Bilder zu zarten Pastellen ineinander verschlungener Körper, und sie erwachte im Morgengrauen mit heftigem Herzklopfen, verschwitzt und ermattet. Sie wußte, daß sie vom Mysterium körperlicher Liebe geträumt hatte, und sie wünschte nur, sie hätte wenigstens seinen Namen herausgefunden, denn mit einem völlig Unbekannten so intim zu sein, wenn auch nur im Traum, war zweifellos nicht comme il faut.
    Drei Tage später sah sie ihn zum zweitenmal, bei einem Hauskonzert im Stadthaus der Ranleaghs am Carlysle Square. Eine sehr korpulente Sopranistin aus Mailand hämmerte mit der Faust auf das Klavier, während ihr Wiener Klavierbegleiter versuchte, trotz der zitternden Tasten einen kraftvollen Anschlag zustande zu bringen. Sinjun langweilte sich nach kurzer Zeit und rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Dann hatte sie plötzlich das Gefühl, von einer mächtigen Welle überrollt zu werden, und sie wußte sofort, daß er den Raum betreten hatte. Sie drehte sich verstohlen um, und da war er. Sein Anblick raubte ihr buchstäblich den Atem. Er hatte sich soeben den schwarzen Mantel abnehmen lassen und redete leise mit einem anderen Herrn. Ihr kam er jetzt sogar noch schöner als im Ballsaal der Portmaines vor, ganz in Schwarz, mit einem blendend weißen Batisthemd. Sein dichtes Haar war nach hinten gebürstet und ein bißchen zu lang, wenn man die Maßstäbe der neuesten Mode anlegte; doch Sinjun fand seine Frisur genauso perfekt wie alles andere an ihm. Er nahm schräg hinter ihr Platz, und wenn sie der kreischenden Sopranistin das Profil zuwandte, konnte sie ihn nach
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