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Die Jungfernbraut

Titel: Die Jungfernbraut
Autoren: Catherine Coulter
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Ziegen, die zufrieden an alten Stiefeln herumkauten. Doch welchen Charakter sie auch immer haben würde — er würde schon mit ihr fertig werden. Ihm blieb gar nichts anderes übrig.
    Colin Kinross, siebter Earl of Ashburnham, verließ sein Arbeitszimmer im Nordturm. Am nächsten Morgen war er unterwegs nach London, um eine Braut zu finden, deren Mitgift es mit Aladdins Schätzen aufnehmen könnte.

KAPITEL 1
    London, 1807
    Sinjun sah ihn zum erstenmal an einem Mittwochabend Mitte Mai bei einem Ball, den der Herzog und die Herzogin von Portmaine gaben. Er stand im riesigen Ballsaal gut zehn Meter von ihr entfernt, teilweise im Schatten einer prächtigen Topfpalme, aber das störte sie nicht. Sie sah ihn deutlich genug und konnte den Blick nicht mehr von ihm abwenden. Als zwei Matronen ihr die Sicht zu versperren drohten, verrenkte sie sich fast den Hals, um ihn nicht aus dem Augen zu lassen. Er ging anmutig auf eine Gruppe von Damen zu, beugte sich über die Hand einer jungen Frau und führte sie zum Kotillon. Er war sehr groß; seine Partnerin ging ihm nur bis zur Schulter, und dabei schien sie keine Zwergin zu sein. Nein, er war wirklich sehr groß, viel größer als sie selbst, dem Himmel sei Dank.
    Sie starrte ihn weiter an, ohne zu wissen warum und ohne sich darüber Gedanken zu machen, bis eine Hand ihren Unterarm berührte. Aber sie verspürte nicht die geringste Lust, ihre Aufmerksamkeit jemand anderem zuzuwenden, und deshalb schüttelte sie die Hand einfach ab und entfernte sich. Eine Frauenstimme rief ihr etwas nach, aber sie drehte sich nicht um. Er lächelte jetzt auf seine Partnerin hinab, und in Sinjun stiegen seltsam prickelnde Gefühle auf. Sie umkreiste das Tanzparkett und arbeitete sich geschickt an ihn heran, bis nur noch knapp drei Meter sie voneinander trennten. Er war wirklich hinreißend, genauso groß und breitschultrig wie ihr Bruder Douglas; seine dichten Haare waren rabenschwarz, und seine Augen — großer Gott, ein Mann dürfte nicht solche Augen haben! Sie waren dunkelblau, noch dunkler als die Saphire an dem Kollier, das Douglas seiner Frau zum Geburtstag geschenkt hatte. Wenn sie ihn nur berühren, mit den Fingern durch sein glänzendes Haar fahren und das Grübchen in seinem Kinn streicheln könnte! Sie wußte in diesem Moment, daß sie wunschlos glücklich wäre, wenn sie ihn ihr Leben lang anschauen könnte. Natürlich war das eine verrückte Idee, aber es war nun einmal so. Er hatte eine ausgezeichnete Figur. Mit solchen Dingen kannte sie sich aus; schließlich hatte sie nicht umsonst drei ältere Brüder. O ja, er hatte den Körper eines Athleten, kräftig und muskulös, und er war jung, wahrscheinlich etwas jünger als Ryder, der vor kurzem seinen neunundzwanzigsten Geburtstag gefeiert hatte. Eine leise innere Stimme sagte ihr, daß sie sich wie eine blöde Kuh aufführe, daß sie sofort mit diesem Blödsinn aufhören solle, daß er nur ein Mann wie alle anderen Männer sei und als Ausgleich für sein phantastisches Aussehen höchstwahrscheinlich den Charakter eines Trolls habe. Oder, noch schlimmer: er könnte ein schrecklicher Langweiler oder ein Dummkopf sein oder verfaulte Zähne haben. Aber nein, letzteres war nicht der Fall, denn er warf gerade lachend den Kopf zurück und zeigte dabei gleichmäßige weiße Zähne. Für ihre scharfen Ohren zeugte sein Lachen von Intelligenz, ebenso wie seine wachen Augen. Ah, aber er könnte ein Trunkenbold, ein Spieler oder ein Wüstling oder etwas ähnlich Abstoßendes sein.
    Es war ihr egal. Sie starrte ihn unverwandt an und verspürte plötzlich einen Hunger, der ihr selbst unverständlich war, den aber zweifellos dieser Mann hervorgerufen hatte. Der Kotillon endete, und er küßte der jungen Dame die Hand, brachte sie in die Obhut ihrer Begleiterinnen zurück und gesellte sich einigen Herren zu, die ihn lautstark und fröhlich begrüßten. Offenbar war er ein bei Männern beliebter Mann, wie ihre Brüder Douglas und Ryder. Zu Sinjuns großer Enttäuschung verschwand die ganze Gruppe im Spielsalon.
    Jemand berührte wieder ihren nackten Arm.
    »Sinjun?«
    Seufzend drehte sie sich nach ihrer Schwägerin Alex um.
    »Ja?«
    »Ist alles in Ordnung? Du hast so regungslos dagestanden wie eine unserer griechischen Statuen in Northcliffe. Und vorhin habe ich nach dir gerufen, aber du scheinst mich weder gehört noch gesehen zu haben.«
    »O ja, alles in bester Ordnung«, murmelte Sinjun und blickte sehnsüchtig zu der Stelle hinüber, wo sie
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