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Die Jungfernbraut

Titel: Die Jungfernbraut
Autoren: Catherine Coulter
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vergeblich, wie sie wußte. Dieser Beweis mußte noch hier sein, falls Tante Arleth sich die ganze Geschichte nicht einfach aus den Fingern gesogen hatte, was Sinjun in diesem Fall nicht glaubte.
    Sie suchte methodisch, aber nach zwanzig Minuten hatte sie noch nichts Ungewöhnliches entdeckt. Wonach sie eigentlich suchte, wußte sie selbst nicht, aber sie hoffte, das Beweisstück zu erkennen, wenn sie darauf stieß.
    Nach weiteren zwanzig Minuten war sie geneigt zu glauben, daß Tante Arleth doch nur phantasiert hatte.
    Sie setzte sich in den Sessel vor dem kleinen Kamin, lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen.
    Wie könnte dieser Beweis nur aussehen?
    Dann fühlte sie sich plötzlich von Wärme eingehüllt, von einer prickelnden, pulsierenden Wärme, die sie aufspringen ließ.
    Sie stand regungslos da und fragte sich, was zum Teufel hier eigentlich vorging, bis sie auf einmal begriff, daß Perlen-Jane ihr zu helfen versuchte.
    Sie ging schnurstracks auf die bodenlangen Brokatvorhänge an der Ostseite des Schlafzimmers zu, kniete nieder und hob den breiten Saum an. Etwas Schweres war darin eingenäht.
    Sie zog behutsam an dem Faden, die Naht löste sich, und ein kleines Bündel Briefe fiel heraus, verschnürt mit einem verblaßten grünen Satinband.
    Es waren vergilbte Briefe eines Lord Donnally, die sich über einen Zeitraum von drei Jahren erstreckten. Der erste war vor fast dreißig Jahren geschrieben worden.
    Drei Jahre vor Colins Geburt.
    Sie las einige Zeilen, faltete den Brief hastig wieder zusammen und schob ihn unter das Band. Dann nahm sie den letzten Brief zur Hand, der ein Datum nach Colins Geburt trug und wie alle anderen auf Lord Donallys Landsitz in Huntington, Sussex, geschrieben worden war.
    Die schwarze Tinte war mit den Jahren verblaßt, aber die elegante Schrift war noch gut zu lesen.
    Meine Liebste,
    wenn ich nur meinen Sohn sehen, ihn nur einmal in die Arme nehmen und an mich drücken könnte! Aber ich weiß, daß das unmöglich ist, genauso, wie ich immer gewußt habe, daß du nie die meine werden kannst. Aber du hast unseren Sohn. Ich werde mich deinen Wünschen beugen und nicht versuchen, dich wiederzusehen. Falls du mich jemals brauchen solltest, bin ich immer für dich da. Ich hoffe und bete, daß dein Mann seine Grausamkeiten nun unterlassen und dir nichts zuleide tun wird . . .
    Die nächsten Zeilen waren verwischt, und Sinjun konnte sie nicht entziffern. Aber sie hatte ohnehin genug gelesen. Sie ließ den Brief sinken, und Tränen tropften auf ihre Hände.
    Dann schien jene Wärme um sie herumzuwirbeln. Natürlich wußte sie, was sie zu tun hatte.
    Zehn Minuten später verließ sie Tante Arleths Schlafzimmer, in dem es jetzt etwas wärmer war, weil kurzfristig ein Feuer im Kamin gebrannt hatte.
    Sie ging in den Salon, wo über dem Kamin Perlen-Janes Porträt hing, zwischen den Porträts des Grafen und der Gräfin — so wie Perlen-Jane es verlangt hatte.
    »Danke«, sagte sie leise.
    »Mit wem redest du, Sinjun?«
    Es war herrlich, ihren Namen aus Colins Mund zu hören. Sie drehte sich um und lächelte ihm zu, ihrem Mann, ihrem Liebsten, für den sie bereitwillig ihr Leben hingeben würde. Jetzt waren er und sie in Sicherheit, und vor ihnen lag noch hoffentlich ein langes Leben.
    »Oh, ich habe nur ein Selbstgespräch geführt. Ich finde, daß Perlen-Janes Porträt gereinigt werden müßte. Kennst du jemanden, der kleinere Restaurierungen dieser Art ausführt?«
    »Nein, aber es gibt bestimmt jemanden, wenn nicht in Kinross, so in Edinburgh.«
    »Bringen wir das Porträt nach Edinburgh. Ich finde, daß Perlen-Jane nur das Allerbeste zusteht. Ach, übrigens ist mir vorhin eingefallen, daß ich ein schweres Unrecht begangen hätte, wenn ich Robert MacPherson nach Australien oder sonst wohin verfrachtet hätte.«
    »Seinem Charakter hätte es vermutlich durchaus gut getan, aber es wäre tatsächlich unrecht gewesen, und ich bin sehr erleichtert, daß du diesen Plan nicht in die Tat umsetzen konntest. Ich habe Robbie heute morgen gesehen und ihm alles über MacDuff erzählt.«
    »Er wird sich doch wohl nicht entschuldigt haben?«
    »Nein, das nicht, aber er hat mir einen Krug Bier in seinem Haus angeboten, und keiner seiner Männer hat mich beim Trinken mit Dolch oder Pistole in Schach gehalten. Er läßt sich neuerdings einen Bart wachsen.«
    »Hast du auch Serena gesehen?«
    »Nein, er hat sie postwendend nach Edinburgh geschickt, wo sie ihrem Vater den Haushalt führen soll. Er
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