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Die Judenbuche

Die Judenbuche

Titel: Die Judenbuche
Autoren: Annette von Droste-Hülshoff
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leise mit; dann die dritte und vierte. Das Lied
    war geendigt, und die Lichter in den Häusern begannen sich zu bewegen. Da richtete der Mann
    sich mühselig auf und schlich langsam hinab in das Dorf. An mehreren Häusern keuchte er
    vorüber, dann stand er vor einem still und pochte leise an. "Was ist denn das?" sagte drinnen
    eine Frauenstimme; "die Türe klappert, und der Wind geht doch nicht." Er pochte stärker: "Um
    Gottes willen, laßt einen halberfrorenen Menschen ein, der aus der türkischen Sklaverei
    kommt!" Geflüster in der Küche. "Geht ins Wirtshaus", antwortete eine andere Stimme, "das
    fünfte Haus von hier!" "Um Gottes Barmherzigkeit willen, laßt mich ein! Ich habe kein Geld."
    Nach einigem Zögern ward die Tür geöffnet, und ein Mann leuchtete mit der Lampe hinaus.
    "Kommt nur herein", sagte er dann, "Ihr werdet uns den Hals nicht abschneiden."
    In der Küche befanden sich außer dem Manne eine Frau in den mittleren Jahren, eine alte Mut-
    ter und fünf Kinder. Alle drängten sich um den Eintretenden her und musterten ihn mit scheuer
    Neugier. Eine armselige Figur! Mit schiefem Halse, gekrümmtem Rücken, die ganze Gestalt
    gebrochen und kraftlos; langes, schneeweißes Haar hing um sein Gesicht, das den verzogenen
    Ausdruck langen Leidens trug. Die Frau ging schweigend an den Herd und legte frisches Reisig
    zu. "Ein Bett können wir Euch nicht geben", sagte sie; "aber ich will hier eine gute Streu ma-
    chen; Ihr müßt Euch schon so behelfen". "Gott's Lohn!" versetzte der Fremde; "ich bins wohl
    schlechter gewohnt." Der Heimgekehrte ward als Johannes Niemand erkannt und er selbst be-
    stätigte, daß er derselbe sei, der einst mit Friedrich Mergel entflohen.
    Das Dorf war am folgenden Tage voll von den Abenteuern des so lange Verschollenen. Jeder
    wollte den Mann aus der Türkei sehen, und man wunderte sich beinahe, daß er noch aussehe
    wie andere Menschen. Das junge Volk hatte zwar keine Erinnerungen von ihm, aber die Alten
    fanden seine Züge noch ganz wohl heraus, so erbärmlich entstellt er auch war.
    "Johannes, Johannes, was seid Ihr grau geworden!" sagte eine alte Frau. "Und woher habt Ihr
    den schiefen Hals?" "Vom Holz und Wassertragen in der Sklaverei", versetzte er. "Und was ist
    aus Mergel geworden? Ihr seid doch zusammen fortgelaufen?" "Freilich wohl; aber ich weiß
    nicht wo er ist, wir sind voneinander gekommen. Wenn Ihr an ihn denkt, betet für ihn", fügte
    er hinzu, "er wird es wohl nötig haben." Man fragte ihn, warum Friedrich sich denn aus dem
    Staube gemacht, da er den Juden doch nicht erschlagen? "Nicht?" sagte Johannes und horchte
    gespannt auf, als man ihm erzählte, was der Gutsherr geflissentlich verbreitet hatte, um den
    Fleck von Mergels Namen zu löschen. "Also ganz umsonst", sagte er nachdenkend, "ganz um-
    sonst so viel ausgestanden!" Er seufzte tief und fragte nun seinerseits nach manchem. Simon
    war lange tot, aber zuvor noch ganz verarmt durch Prozesse und böse Schuldner, die er nicht
    gerichtlich belangen durfte, weil es, wie man sagte zwischen ihnen keine reine Sache war. Er
    hatte zuletzt Bettelbrot gegessen und war in einem fremden Schuppen auf dem Stroh gestor-
    ben. Margreth hatte länger gelebt, aber in völliger Geistesstumpfheit. Die Leute im Dorf waren
    es bald müde geworden, ihr beizustehen, da sie alles verkommen ließ, was man ihr gab, wie
    es denn die Art der Menschen ist, gerade die Hülflosesten zu verlassen, solche, bei denen der
    Beistand nicht nachhaltig wirkt und die der Hülfe immer gleich bedürftig bleiben. Dennoch hat-
    te sie nicht eigentlich Not gelitten; die Gutsherrschaft sorgte sehr für sie, schickte ihr täglich
    das Essen und ließ ihr auch ärztliche Behandlung zukommen, als ihr kümmerlicher Zustand in

    Literatur Online: Kunstguerilla for Freewarez am: 11.10.2000
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    Annette von Droste-Hülshoff (1779-1848)
    Die Judenbuche

    völlige Abzehrung übergegangen war. In ihrem Hause wohnte jetzt der Sohn des ehemaligen
    Schweinehirten, der an jenem unglücklichen Abende Friedrichs Uhr so sehr bewundert hatte.
    "Alles hin, alles tot!" seufzte Johannes.

    Am Abend, als es dunkel geworden war und der Mond schien, sah man ihn im Schnee auf dem
    Kirchhofe umherhumpeln; er betete bei keinem Grabe, ging auch an keines dicht hinan, aber
    auf einige schien er aus der Ferne starre Blicke zu heften. So fand ihn der Förster Brandis, der
    Sohn des Erschlagenen, den die Gutsherrschaft abgeschickt hatte, ihn ins Schloß zu holen.
    Beim
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