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Die Judenbuche

Die Judenbuche

Titel: Die Judenbuche
Autoren: Annette von Droste-Hülshoff
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und feierlich zurück, durch das Dorf B. bis in

    Literatur Online: Kunstguerilla for Freewarez am: 11.10.2000
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    Annette von Droste-Hülshoff (1779-1848)
    Die Judenbuche

    das Zellerfeld, wo sie sich zerstreuten und jeder seines Weges ging. Am nächsten Morgen
    stand an der Buche mit dem Beil eingehauen:

    Und wo war Friedrich? Ohne Zweifel fort, weit genug, um die kurzen Arme einer so schwachen
    Polizei nicht mehr fürchten zu dürfen. Er war bald verschollen, vergessen. Ohm Simon redete
    selten von ihm, und dann schlecht; die Judenfrau tröstete sich am Ende und nahm einen ande-
    ren Mann. Nur die arme Margreth blieb ungetröstet.
    Etwa ein halbes Jahr nachher las der Gutsherr einige eben erhaltene Briefe in Gegenwart des
    Amtsschreibers. "Sonderbar, sonderbar!" sagte er. "Denken Sie sich, Kapp, der Mergel ist viel-
    leicht unschuldig an dem Morde. Soeben schreibt mir der Präsident des Gerichtes zu P.: »Le
    vrai n'est pas toujours vraisemblable«; das erfahre ich oft in meinem Berufe und jetzt neuer-
    dings. Wissen Sie wohl daß Ihr lieber Getreuer, Friedrich Mergel, den Juden mag ebensowenig
    erschlagen haben als ich oder Sie? Leider fehlen die Beweise, aber die Wahrscheinlichkeit ist
    groß. Ein Mitglied der Schlemmingschen Bande (die wir jetzt, nebenbei gesagt, größtenteils
    unter Schloß und Riegel haben) Lumpenmoises genannt, hat im letzten Verhöre ausgesagt,
    daß ihn nichts so sehr gereue als der Mord eines Glaubensgenossen, Aaron, den er im Walde
    erschlagen und doch nur sechs Groschen bei ihm gefunden habe. Leider ward das Verhör
    durch die Mittagsstunde unterbrochen, und während wir tafelten, hat sich der Hund von einem
    Juden an seinem Strumpfband erhängt. Was sagen Sie dazu? Aaron ist zwar ein verbreiteter
    Name usw." "Was sagen Sie dazu?" wiederholte der Gutsherr: "und weshalb wäre der Esel von
    einem Burschen denn gelaufen?" Der Amtsschreiber dachte nach. "Nun, vielleicht der Holzfre-
    vel wegen, mit denen wir ja gerade in Untersuchung waren. Heißt es nicht: der Böse läuft vor
    seinem eigenen Schatten? Mergels Gewissen war schmutzig genug auch ohne diesen Flecken."

    Dabei beruhigte man sich. Friedrich war hin, verschwunden und Johannes Niemand, der arme,
    unbeachtete Johannes, am gleichen Tage mit ihm. -
    Eine schöne lange Zeit war verflossen, achtundzwanzig Jahre, fast die Hälfte eines Menschen-
    lebens; der Gutsherr war sehr alt und grau geworden, sein gutmütiger Gehülfe Kapp längst
    begraben. Menschen, Tiere und Pflanzen waren entstanden, gereift, vergangen, nur Schloß B.
    sah immer gleich grau und vornehm auf die Hütten herab, die wie alte hektische Leute immer
    fallen zu wollen schienen und immer standen. Es war am Vorabende des Weihnachtsfestes,
    den 24. Dezember 1788. Tiefer Schnee lag in den Hohlwegen, wohl an zwölf Fuß hoch, und
    eine durchdringende Frostluft machte die Fensterscheiben in der geheizten Stube gefrieren.
    Mitternacht war nahe, dennoch flimmerten überall matte Lichtchen aus den Schneehügeln, und
    in jedem Hause lagen die Einwohner auf den Knien, um den Eintritt des heiligen Christfestes
    mit Gebet zu erwarten, wie dies in katholischen Ländern Sitte ist oder wenigstens damals all-
    gemein war. Da bewegte sich von der Breder Höhe herab eine Gestalt langsam gegen das
    Dorf; der Wanderer schien sehr matt oder krank; er stöhnte schwer und schleppte sich äußerst
    mühsam durch den Schnee.
    lt1An der Mitte des Hanges stand er still, lehnte sich auf seinen Krückenstab und starrte un-
    verwandt auf die Lichtpunkte. Es war so still überall, so tot und kalt; man mußte an Irrlichter
    auf Kirchhöfen denken. Nun schlug es zwölf im Turm; der letzte Schlag verdröhnte langsam,
    und im nächsten Hause erhob sich ein leiser Gesang, der, von Hause zu Hause schwellend, sich
    über das ganze Dorf zog:

    Literatur Online: Kunstguerilla for Freewarez am: 11.10.2000
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    Annette von Droste-Hülshoff (1779-1848)
    Die Judenbuche

    Ein Kindelein so löbelich
    Ist uns geboren heute,
    Von einer Jungfrau säuberlich,
    Des freun sich alle Leute;
    Und wär das Kindelein nicht geborn
    So wären wir alle zusammen verlorn:
    Das Heil ist unser aller.
    O du mein liebster Jesu Christ,
    Der du als Mensch geboren bist,
    Erlös uns von der Hölle!

    Der Mann am Hange war in die Knie gesunken und versuchte mit zitternder Stimme einzufal-
    len: es ward nur ein lautes Schluchzen daraus, und schwere, heiße Tropfen fielen in den
    Schnee. Die zweite Strophe begann; er betete
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