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Die Judenbuche

Die Judenbuche

Titel: Die Judenbuche
Autoren: Annette von Droste-Hülshoff
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Bewußtsein anführte, als er seinen Sitz in der
    Gerichtsstube einnahm. Die Zurückgebliebenen horchten sorglos dem allmählichen Verhallten
    des Knarrens und Stoßens der Räder in den Hohlwegen und schliefen sacht weiter. Ein gele-
    gentlicher Schuß, ein schwacher Schrei ließen wohl einmal eine junge Frau oder Braut auffah-
    ren; kein anderer achtete darauf. Beim ersten Morgengrauen kehrte der Zug ebenso schwei-
    gend heim, die Gesichter glühend wie Erz, hier und dort einer mit verbundenem Kopf, was wei-
    ter nicht in Betracht kam, und nach ein paar Stunden war die Umgegend voll von Mißgeschick
    eines oder mehrerer Forstbeamten, die aus dem Walde getragen wurden, zerschlagen, mit
    Schnupftabak geblendet und für einige Zeit unfähig, ihrem Berufe nachzukommen.

    In dieser Umgebung ward Friedrich Mergel geboren, in einem Haus, das durch die stolze Zuga-
    be eines Rauchfangs und minder kleiner Glasscheiben die Ansprüche seines Erbauers sowie
    durch seine gegenwärtige Verkommenheit die kümmerlichen Umstände des jetzigen Besitzers
    bezeugte. Das frühere Geländer um Hof und Garten war einem vernachlässigten Zaune gewi-
    chen, das Dach schadhaft, fremdes Vieh weidete auf den Triften, fremdes Korn wuchs auf dem
    Acker zunächst am Hofe, und der Garten enthielt, außer ein paar holzichten Rosenstöcken aus
    besserer Zeit, mehr Unkraut als Kraut. Freilich hatten Unglücksfälle manches hiervon herbeige-
    führt; doch war auch viel Unordnung und böse Wirtschaft im Spiel. Friedrichs Vater, der alte
    Hermann Mergel, war in seinem Junggesellenstande ein sogenannter ordentlicher Säufer, das
    heißt einer, der nur an Sonn- und Feiertagen in der Rinne lag und die Woche hindurch so ma-
    nierlich war wie ein anderer. So war denn auch seine Bewerbung um ein recht hübsches und
    wohlhabendes Mädchen ihm nicht erschwert. Auf der Hochzeit ging es lustig zu. Mergel war gar
    nicht so arg betrunken, und die Eltern der Braut gingen abends vergnügt heim; aber am näch-
    sten Sonntag sah man die Frau schreiend und blutrünstig durchs Dorf zu den Ihrigen rennen,
    alle ihre guten Kleider und neues Hausgerät im Stich lassend. Das war freilich ein großer
    Skandal und Ärger für Mergel, der allerdings Trostes bedurfte. So war denn auch am Nachmit-
    tage keine Scheibe an seinem Hause mehr ganz, und man sah ihn noch bis spät in die Nacht
    vor der Türschwelle liegen, einen abgebrochenen Flaschenhals von Zeit zu Zeit zum Munde
    führen und sich Gesicht und Hände jämmerlich zerschneidend. Die junge Frau blieb bei ihren
    Eltern, wo sie bald verkümmerte und starb. Ob nun den Mergel die Reue quälte oder Scham,
    genug, er schien der Trostmittel immer bedürftiger und fing bald an, den gänzlich verkomme-
    nen Subjekten zugezählt zu werden
    Die Wirtschaft verfiel; fremde Mägde brachten Schimpf und Schande; so verging Jahr auf Jahr.
    Mergel war und blieb ein verlegener und zuletzt ziemlich armseliger Witwer, bis er mit einem-
    male wieder als Bräutigam auftrat. War die Sache an und für sich unerwartet, so trug die Per-
    sönlichkeit der Braut noch dazu bei, die Verwunderung zu erhöhen. Margreth Semmler war
    eine brave, anständige Person, so in den Vierzigern, in ihrer Jugend eine Dorfschönheit und
    noch jetzt als sehr klug und wirtlich geachtet, dabei nicht unvermögend; und so mußte es je-
    dem unbegreiflich sein, was sie zu diesem Schritte getrieben. Wir glauben den Grund eben in
    dieser ihrer selbstbewußten Vollkommenheit zu finden. Am Abend vor ihrer Hochzeit soll sie
    gesagt haben: "Eine Frau, die von ihrem Manne übel behandelt wird, ist dumm oder taugt
    nicht: wenns mir so schlecht geht, so sagt, es liege an mir." Der Erfolg zeigte leider, daß sie
    ihre Kräfte überschätzt hatte. Anfangs imponierte sie ihrem Manne; er kam nicht nach Hause
    oder kroch in die Scheune, wenn er sich übernommen hatte; aber das Joch war zu drückend,
    um lange getragen zu werden, und bald sah man ihn oft genug quer über die Gasse ins Haus
    taumeln, hörte drinnen sein wüstes Lärmen und sah Margreth eilends Tür und Fenster schlie-
    ßen. An einem solchem Tage - keinem Sonntage mehr - sah man sie abends aus dem Hause
    stürzen, ohne Haube und Halstuch, das Haar wild um den Kopf hängend, sich im Garten neben
    ein Krautbeet niederwerfen und die Erde mit den Händen aufwühlen, dann ängstlich um sich
    schauen, rasch ein Bündel Kräuter brechen und damit langsam wieder dem Hause zugehen,
    aber nicht hinein, sondern in die Scheune. Es
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