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Die Judenbuche

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Titel: Die Judenbuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette von Droste-Hülshoff
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ihm geschickt. "Sie kommen immer zu spät", sagte Herr von S. verdrieß-
    lich. "War denn nicht irgendein altes Weib im Dorfe, das Ihrer Magd die Sache erzählte? Und
    warum weckte man Sie dann nicht?" "Gnädiger Herr", versetzte Kapp, "allerdings hat meine
    Anne Marie den Handel um eine Stunde früher erfahren als ich; aber sie wußte, daß Ihro Gna-
    den die Sache selbst leiteten, und dann", fügte er mit klagender Miene hinzu, "daß ich so tod-
    müde war!" "Schöne Polizei!" murmelte der Gutsherr "jede alte Schachtel im Dorf weiß Be-
    scheid, wenn es recht geheim zugehen soll." Dann fuhr er heftig fort: "Das müßte wahrhaftig
    ein dummer Teufel von Delinquenten sein, der sich packen ließe!"
    Beide schwiegen eine Weile. "Mein Fuhrmann hatte sich in der Nacht verirrt", hob der
    Amtsschreiber wieder an; "über eine Stunde lang hielten wir im Walde; es war ein Mordwetter;
    ich dachte, der Wind werde den Wagen umreißen. Endlich, als der Regen nachließ, fuhren wir
    in Gottes Namen darauf los, immer in das Zellerfeld hinein, ohne eine Hand vor den Augen zu
    sehen. Da sagte der Kutscher: 'Wenn wir nur nicht den Steinbrüchen zu nahe kommen!' Mir
    war selbst bange; ich ließ halten und schlug Feuer, um wenigstens etwas Unterhaltung an
    meiner Pfeife zu haben. Mit einemmale hörten wir ganz nah, perpendikulär unter uns die Glok-
    ke schlagen. Euer Gnaden mögen glauben, daß mir fatal zumute wurde. Ich sprang aus dem
    Wagen, denn seinen eigenen Beinen kann man trauen, aber denen der Pferde nicht. So stand
    ich, in Kot und Regen, ohne mich zu rühren, bis es gottlob sehr bald anfing zu dämmern. Und
    wo hielten wir? Dicht an der Heerser Tiefe und den Turm von Heerse gerade unter uns. Wären
    wir noch zwanzig Schritt weiter gefahren, wir wären alle Kinder des Todes gewesen." "Das war
    in der Tat kein Spaß", versetzte der Gutsherr, halb versöhnt.
    Er hatte unterdessen die mitgenommenen Papiere durchgesehen. Es waren Mahnbriefe um
    geliehene Gelder, die meisten von Wucherern. "Ich hätte nicht gedacht", murmelte er, "daß die
    Mergels so tief drin steckten." "Ja, und daß es so an den Tag kommen muß", versetzte Kapp,
    "das wird kein kleiner Ärger für Frau Margreth sein." "Ach Gott, die denkt jetzt daran nicht!"
    Mit diesen Worten stand der Gutsherr auf und verließ das Zimmer, um mit Herrn Kapp die ge-
    richtliche Leichenschau vorzunehmen. Die Untersuchung war kurz, gewaltsamer Tod erwiesen,
    der vermutliche Täter entflohen, die Anzeichen gegen ihn zwar gravierend, doch ohne persönli-
    ches Geständnis nicht beweisend, seine Flucht allerdings sehr verdächtig. So mußte die ge-
    richtliche Verhandlung ohne genügenden Erfolg geschlossen werden.
    Die Juden der Umgegend hatten großen Anteil gezeigt. Das Haus der Witwe ward nie leer von
    Jammernden und Ratenden. Seit Menschengedenken waren nicht so viel Juden beisammen in
    L. gesehen worden. Durch den Mord ihres Glaubensgenossen aufs äußerste erbittert, hatten
    sie weder Mühe noch Geld gespart, dem Täter auf die Spur zu kommen. Man weiß sogar, daß
    einer derselben, gemeinhin der Wucherjoel genannt, einem seiner Kunden, der ihm mehrere
    Hunderte schuldete und den er für einen besonders listigen Kerl hielt, Erlaß der ganzen Sum-
    me angeboten hatte, falls er ihm zur Verhaftung des Mergel verhelfen wolle; denn der Glaube
    war allgemein unter den Juden, daß der Täter nur mit guter Beihülfe entwischt und wahr-
    scheinlich noch in der Umgegend sei. Als dennoch alles nichts half und die gerichtliche Ver-
    handlung für beendet erklärt worden war, erschien am nächsten Morgen eine Anzahl der ange-
    sehensten Israeliten im Schlosse, um dem gnädigen Herrn einen Handel anzutragen. Der Ge-
    genstand war die Buche, unter der Aarons Stab gefunden und wo der Mord wahrscheinlich ver-
    übt worden war. "Wollt ihr sie fällen? So mitten im vollen Laube?" fragte der Gutsherr. "Nein,
    Ihro Gnaden, sie muß stehenbleiben im Winter und Sommer, solange ein Span daran ist."
    "Aber, wenn ich nun den Wald hauen lasse, so schadet es dem jungen Aufschlag." "Wollen wir
    sie doch nicht um gewöhnlichen Preis." Sie boten zweihundert Taler. Der Handel ward ge-
    schlossen und allen Förstern streng eingeschärft, die Judenbuche auf keine Weise zu schädi-
    gen. Darauf sah man an einem Abende wohl gegen sechzig Juden, ihren Rabbiner an der Spit-
    ze, in das Brederholz ziehen, alle schweigend und mit gesenkten Augen. Sie blieben über eine
    Stunde im Walde und kehrten dann ebenso ernst

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