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Die Judenbuche

Die Judenbuche

Titel: Die Judenbuche
Autoren: Annette von Droste-Hülshoff
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so kurios, ich kann nicht recht sagen, wie es so ist." "Ich weiß schon",
    sagte der Baron ,"von alter Zeit her. Jetzt geh! Hülsmeyers behalten dich wohl noch die Nacht
    über, morgen komm wieder."
    Herr von S. hatte das innigste Mitleiden mit dem armen Schelm; bis zum folgenden Tage war
    überlegt worden, wo man ihn einmieten könne; essen sollte er täglich im Schlosse, und für
    Kleidung fand sich auch wohl Rat. "Herr", sagte Johannes, "ich kann auch noch wohl etwas
    tun; ich kann hölzerne Löffel machen, und Ihr könnt mich auch als Boten schicken." Herr von
    S. schüttelte mitleidig den Kopf : "Das würde doch nicht sonderlich ausfallen." "O doch, Herr,
    wenn ich erst im Gange bin es geht nicht schnell aber hin komme ich doch, und es wird mir
    auch nicht sauer, wie man denken sollte." "Nun", sagte der Baron zweifelnd, "willst du's versuchen? Hier ist ein Brief nach P. Es hat keine sonderliche Eile."

    Am folgenden Tage bezog Johannes sein Kämmerchen bei einer Witwe im Dorfe. Er schnitzelte
    Löffel, aß auf dem Schlosse und machte Botengänge für den gnädigen Herrn. Im ganzen gings
    ihm leidlich; die Herrschaft war sehr gütig, und Herr von S. unterhielt sich oft lange mit ihm
    über die Türkei, den österreichischen Dienst und die See. "Der Johannes könnte viel erzählen",
    sagte er zu seiner Frau, "wenn er nicht so grundeinfältig wäre." "Mehr tiefsinnig als einfältig", versetzte sie; "ich fürchte immer er schnappt noch über." "Ei bewahre!" antwortete der Baron,
    "er war sein Leben lang ein Simpel; simple Leute werden nie verrückt."
    Nach einiger Zeit blieb Johannes auf einem Botengange über Gebühr lange aus. Die gute Frau
    von S. war sehr besorgt um ihn und wollte schon Leute aussenden, als man ihn die Treppe
    heraufstelzen hörte. "Du bist lange ausgeblieben, Johannes" sagte sie; "ich dachte schon, du
    hättest dich im Brederholz verirrt." "Ich bin durch den Föhrengrund gegangen." "Das ist ja ein weiter Umweg; warum gingst du nicht durchs Brederholz?" Er sah trübe zu ihr auf: "Die Leute
    sagten mir, der Wald sei gefällt,
    f12 und jetzt seien so viele Kreuz und Querwege darin, da fürchtete ich, nicht wieder hinaus-
    zukommen. Ich werde alt und duselig", fügte er langsam hinzu. "Sahst du wohl", sagte Frau
    von S. nachher zu ihrem Manne, "wie wunderlich und quer er aus den Augen sah ? Ich sage
    dir, Ernst, das nimmt noch ein schlimmes Ende."
    Indessen nahte der September heran. Die Felder waren leer, das Laub begann abzufallen, und
    mancher Hektische fühlte die Schere an seinem Lebensfaden. Auch Johannes schien unter dem
    Einflusse des nahen Äquinoktiums zu leiden; die ihn in diesen Tagen sahen, sagen, er habe
    auffallend verstört ausgesehen und unaufhörlich leise mit sich selber geredet, was er auch
    sonst mitunter tat, aber selten. Endlich kam er eines Abends nicht nach Hause. Man dachte,
    die Herrschaft habe ihn verschickt; am zweiten auch nicht; am dritten Tage ward seine Haus-
    frau ängstlich. Sie ging ins Schloß und fragte nach. "Gott bewahre", sagte der Gutsherr, "ich
    weiß nichts von ihm; aber geschwind den Jäger gerufen und Försters Wilhelm! Wenn der arm-
    selige Krüppel", setzte er bewegt hinzu, "auch nur in einen trockenen Graben gefallen ist, so
    kann er nicht wieder heraus. Wer weiß, ob er nicht gar eines von seinen schiefen Beinen ge-
    brochen hat! Nehmt die Hunde mit", rief er den abziehenden Jägern nach, "und sucht vor al-
    lem in den Gräben; seht in die Steinbrüche!" rief er lauter. Die Jäger kehrten nach einigen
    Stunden heim; sie hatten keine Spur gefunden. Herr von S. war in großer Unruhe: "Wenn ich
    mir denke, daß einer so liegen muß wie ein Stein und kann sich nicht helfen! Aber er kann
    noch leben; drei Tage hälts ein Mensch wohl ohne Nahrung aus." Er machte sich selbst auf den
    Weg; in allen Häusern wurde nachgefragt, überall in die Hörner geblasen, gerufen die Hunde
    zum Suchen angehetzt umsonst! Ein Kind hatte ihn gesehen, wie er am Rande des Brederhol-
    zes saß und an einem Löffel schnitzelte. "Er schnitt ihn aber ganz entzwei", sagte das kleine
    Mädchen. Das war vor zwei Tagen gewesen. Nachmittags fand sich wieder eine Spur: abermals
    ein Kind, das ihn an der anderen Seite des Waldes bemerkt hatte, wo er im Gebüsch gesessen,
    das Gesicht auf den Knien, als ob er schliefe. Das war noch am vorigen Tage. Es schien, er
    hatte sich immer um das Brederholz herumgetrieben.

    Literatur Online: Kunstguerilla for Freewarez am: 11.10.2000
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