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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf
Autoren: Jakob Wassermann
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wund. Ratlosigkeit und Traurigkeit verdunkelten ihr Dasein und machten ihre Jugend finster und bereuenswert. Aber als die Woge der Messiasbegeisterung in den stillen Hofmarkt stürzte, sah das gequälte Mädchen darin eine Art Erlösung. Sie fand es leichter als sonst, ihren leiblichen und seelischen Zustand geheim zu halten, denn die Erregung der Gemüter wandte sich nichts Einzelnem mehr zu. Trotzdem rückte die Zeit immer näher, wo nichts mehr zu verbergen war, wo sie, ohne zu reden, ihr Geheimnis offenbar werden lassen mußte. Sie sann und sann in schlaflosen Nächten und endlich fand sie durch angeborene Schlauheit einen verwegenen Ausweg aus ihrer Bedrängnis, und sie beschloß, ihren Geliebten um Hilfe zu bitten.
    Maier Knöcker war von der Abendschul nach Hause gekommen und erzählte finster, daß er mit vier andern unverrichteter Sache wieder gegangen sei. Die Juden vergäßen, sich zum Gebet zu versammeln; er sah darin ein schreckliches Zeichen. Beklommenen Herzens lugte er hinaus auf die Straße, als erwarte er Stunde für Stunde den unerbittlichen Gegner des häuslichen Friedens von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Da läutete die Hausglocke und Itzig Gänßhenker kam und berichtete atemlos, daß sich ein wahrhaftes Gotteswunder begeben habe. An der Küste von Nordschottland habe sich nämlich ein Schiff gezeigt mit seidenen Segeln und seidenen Tauen und die Schiffsleute, die es führten, hätten hebräisch gesprochen und die Flagge habe die Inschrift getragen: die zwölf Stämme oder die Geschlechter Israels. Dies Schiff sei für die Braut des Messias bestimmt.
    Sie sprachen nun von vielen Dingen, auch Thelsela, das Weib des Knöckers, mischte sich in die Unterhaltung, bis Boruchs Klöß kam und man im Talmud lesen wollte. Auch Klöß wußte von dem geheimnisvollen Schiff und alle, alle draußen wußten es schon. Es kam nicht zum Studium des Talmuds, da Boruchs Klöß manche neue Seltsamkeiten zu berichten wußte: wie ein jüdischer Schneider zu Mailand in einen Zustand der Raserei gefallen sei und sich seitdem in prophetischen Verzückungen winde; stundenlang liege er am Boden und spreche bald lachend, bald weinend von der nahen Erlösung und von Sabbatais Macht im Himmel und auf Erden. Ferner erzählte er, daß sein Oheim aus der Türkei nach Hause zurückgekehrt sei und gänzlich betäubt sei von dem Großen und Wundervollen, das er dort gesehen. Das Volk von Smyrna sei wie im Wahnsinn und jauchze dem Befreier zu, der in Prozessionen von nie gesehener Pracht durch die Straßen ziehe. Die Ungläubigen, die Chofrim, seien ihres Lebens nicht sicher; Chajim Peña sei vom Volk fast zerfleischt worden, als er gegen Sabbatai aufgetreten war; des Peña eigne Tochter habe mit verzückten Sinnen das Heil des Erlösers ausgerufen, habe geweissagt und sei wie berauscht gewesen. Da gaben sie Chajim Peña frei, und er wurde später zum Jünger. So wurde erzählt und Boruchs Klöß wußte immer noch erstaunlichere Dinge als Itzig Gänßhenker. Maier Knöcker aber schwieg mit schwerem Herzen. Ringsum sah er den wilden Tanz sich gestalten; seine Klugheit warnte ihn davor, zu widerstehen, um so mehr, als noch in derselben Nacht das Gerücht laut wurde, Zacharias Naar stehe in Verbindung mit dem Propheten selbst. Er erhielt dadurch eine förmliche Weihe; er ging in die Häuser der Juden, überzeugte die Zweifler und entstammte die Hoffenden. Überall schritt er umher, überall fand man ihn, oft hob er sich gegen den dunklen Himmel der Felder ab, einsam im Abend.
    Die Glocke verkündete die Mitternacht. Ein junger Mensch schlich über den Lilienplatz in die Wassergaß zum Haus des Knöckers. Er hatte ein langes Rohr unter seinem Mantel verborgen, und sein Kopf war sorglich in eine Kapuze gehüllt. Der rote Mond senkte sich gegen Westen und schien ein zauberhaftes Blühen auf die Dächer zu breiten. Gelbe Blüten, zarte Nebelschleier, er hauchte sie hin, daß es keiner sah, und die Steine waren nicht mehr Steine, sondern Knospen von Mondblüten und jeder Zaunpfahl erwachte aus einem traumlosen Schlaf und guckte schwermütig in die Welt. Die windschiefen Häuser sahen unbekleidet, hilflos und gottverlassen aus; manche erschienen rührend in ihrer trostlosen Verfallenheit, während ihre Fenster traurigen Augen glichen, die in die dunstige Glasglocke des Himmels hineinstarrten, als ob sie geblendet wären von dem sanften natürlichen Licht.
    Der junge Mensch überkletterte einen niederen Zaun und erstieg eine schmale
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