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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf
Autoren: Jakob Wassermann
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Himmels in unzertrennlichem Bund vereinigt. Fünfzig Talmudisten speisten an seiner Tafel und kein Armer ging hungrig von seiner Türe. Er vergoß Ströme von Tränen beim Gebet, und nächtelang sang er bei hellem Kerzenlicht die Psalmen. Er sang auch Liebeslieder. Er sang das Lied von der schönen Kaisertochter Melliselde:

    Aufsteigend auf einen Berg
    und niederschreitend in ein Tal,
    kam ich zur schönen Melliselde
    in des Kaisers Krönungssaal.
    Mild kam sie einher
    mit flutendem Haar
    und ihr Antlitz milde,
    süß ihre Stimme war;
    ihr Antlitz glänzte wie ein Degen,
    ihr Augenlid wie ein Bogen von Stahl,
    ihre Lippen waren Korallen,
    ihr Fleisch wie Milch so fahl.

    Die Kinder folgten ihm auf den Straßen, indes die Mütter seinen Namen lobpriesen. Er ließ verkünden, daß er vom Flusse Sabbation aus die zehn Stämme nach dem heiligen Lande führen werde: auf einem Löwen reitend, der einen siebenköpfigen Drachen werde im Maule haben ...
    Wie von einem ergreifenden Zauber umschlungen, wanderten die Juden nach Hause. Das Fieber der Erwartung hatte sie gepackt, das von Land zu Land floß wie ein berauschender Strom. In dieser Nacht konnte keiner schlafen.
    Man sagte damals, der Herr der Welten öffne seine Tore, den Propheten zu empfangen, oder er pflücke die Sterne vom Himmel, als wären es Trauben am Rebstock, das Volk sähe ein edles Licht, und die Todesschatten verschwänden neben ihm; hinabgestürzt sei die Pracht der Könige und das Rauschen ihrer Harfen; der Prophet steige zum Himmel empor und oberhalb der Gestirne errichte er seinen Thron; viele Stimmen schrien zu ihm empor: Wächter, wie weit ists in der Nacht? Da verkündete er schon das Morgenrot. In seiner Nähe gab es nichts alltägliches mehr, der Fürst schien dem Bauer gleich, der Bettler dem Richter, keine liebende Hand streckte sich dem Kranken hin, und es war erhaben, alle Pein der Kasteiung zu erdulden und der aufgehenden Gnadensonne zerknirscht entgegenzuwinseln. Die Schule der Kabbalisten glaubte die Verkündigung klarer zu verstehen. Aus dem göttlichen Schoß hatte sich die neue göttliche Person entfaltet, der wahre König, der Messias, der Erlöser und Befreier der Welt und die Herrschaft des Metatron ist zu Ende. Es steht aber im Buche Sohar, sagten sie: Metatron ist das erste der Geschöpfe, der Abglanz Gottes; er ist die mittelste Säule, die das Himmlische vollkommen macht; er ist das Vereinigende in der Mitte. Denn der wahre Messias ist der verkörperte Urmensch, der Adam Kadmon der Schrift, ein Teil der Gottheit.
    Der Tag brach an, ein trüber und dunstiger Herbstmorgen. Kühler trockner Wind ging durch die Gassen. Die christlichen Einwohner waren verwundert über das aufgeregte Wesen der Juden. Der Rabbi Bärmann rannte bleich von einem Haus ins andere. Der Rabbi Salman Klef stand, ein vergilbtes Pergament lesend, stundenlang vor seinem Haus. Salman Ulman Käsbauer rief mit lebhafter Stimme nach dem Fremdling von gestern. Hutzel Davidla hinkte nachdenklich umher und Boruchs Klöß wurde nicht müde, an den heiligen Fasttag zu erinnern und daß man zur Schul gehen müsse. Gegen neun Uhr kam ein staubbedeckter Bote aus der Richtung der Stadt Nürnberg. Er brachte ein Sendschreiben. Michel Chased, der Chassan, nahm es entgegen und die Juden, Männer, Weiber und Kinder in stets wachsender Anzahl, sammelten sich um ihn, als er mit lauter Stimme vorlas. Das Schreiben kam von dem berühmten Samuel Primo, einem Jünger des Sabbatai, und lautete: »Der einzige und erstgeborene Sohn Gottes, Sabbatai Zewi, Messias und Erlöser des jüdischen Volkes, bietet allen Söhnen Israels Frieden. Nachdem ihr gewürdigt worden seid, den großen Tag und die Erfüllung des Gotteswortes durch den Propheten zu sehen, so müssen eure Klagen und Seufzer in Freude und eure Fasten in frohe Tage umgewandelt werden. Denn ihr werdet nicht mehr weinen. Freut euch mit Gesang und Lied und verwandelt den Tag der Betrübnis und der Trauer in einen Tag des Jubels, weil ich erschienen bin.«
    Ein Todesschweigen folgte diesen Worten. Die Zumutung des Propheten war für dies Volk, das mit unerschütterlichem Fanatismus am Hergebrachten, am überlieferten Gesetz hing, etwas Furchtbares und Unerhörtes. Wolf Käsbauer wurde weiß wie Schnee und stotterte ein hebräisches Gebet. Viele andere, besonders Frauen, beteten ihm nach. Aber es waren doch auch solche da, die von Mut erfüllt waren für die neue und große Sache. Sie riefen Hallelujah und ihre Augen leuchteten dem
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