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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf
Autoren: Jakob Wassermann
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sagte ein verschrumpftes Weiblein und schnüffelte mit der dünnen Nase in der Luft umher. Sie wisse einen Spruch, erzählte sie mit klirrender Stimme den jungen Leuten, die sie umstanden:

    Der Jud' Ahasverus weit und breit
    vor alters und vor dieser Zeit
    bekannt, geht nun durch alle Welt,
    red't alle Sprachen, veracht' das Geld
    Was er von Christo reden tut,
    kannst hören hie, doch mit Unmut.
    Veracht' ihn nicht, laßt wandern ihn,
    weil Gott ihm geben solchen Sinn:
    daß er von Christo, seinem Sohn,
    red't alles Guts und ohne Hohn
    Ihn zehret ungemessne Pein,
    es ängstet ihn der Sonnenschein,
    dein Urtel, wie es auch mag sein,
    laß Gott, der kennt das Herz allein.

    Zacharias Naar schritt durch die dunklen Straßen des Orts zum Tempel der Juden. Dort war noch Gottesdienst, denn es war der Vorabend des Versöhnungsfestes. Bald stand er unbeachtet unter der Menge der Gebete Murmelnden, den Tallis um die Schultern, und starrte mit glühenden Augen gegen den Altar. Keine friedliche Feststimmung herrschte in diesem Raum. Jeder schien seinem Gott für sich zu dienen, und bisweilen entstand ein unbestimmter Lärm, in dem sich eine schreiende oder keifende Stimme abhob. Ein dumpfer Höhlengeruch erfüllte das Gotteshaus; es roch nach altem Leder, nach alten Gewändern, nach Rauch und faulem Holz. Kinder standen umher und glotzten mit stumpfsinniger Andacht in Bücher mit gebräunten Blättern. Der Raum glich einem unterirdischen Gemach für Verschwörer, einer Büßerklause für Asketen; nichts von Lebensfreude und nichts von Gottesfreude war hier zu finden. Die Lichter qualmten und wer aus freier Luft hereinkam, glaubte alsbald in eine schwül-qualmende Schlucht zu versinken.
    Das letzte Kaddisch war beendet; alle rüsteten sich zum Aufbruch. Da schritt Zacharias Naar dem Altar zu und erhob die Hand: ein Zeichen, daß er zu reden wünsche. Es wurde still und aller Augen wandten sich dem Fremdling zu. Der begann, – nicht laut und scheinbar mehr für sich selbst. Er sprach zuerst in hastig hingeworfenen Worten von der Niedrigkeit und Erbärmlichkeit des jüdischen Volkes; von der Unterdrückung, die es erlitten, und von der Zerstreuung in alle Teile der Welt. Dann, als er gewiß war, daß alle aufmerksam lauschten, wurde seine Stimme lauter, sie verlor den belanglosen Ton und seine Augen begannen zu blitzen. Er rief den alten Gott der Juden an, der Verheißung auf Verheißung gehäuft und die Armut über sein erwähltes Volk geschüttet habe und die Qualen der Heimsuchung, ärger als zur Zeit der ägyptischen Plagen. Es wurde totenstill. Selbst die Mauern schienen zu lauschen und die Worte mit Begierde einzusaugen. Der Redner fuhr fort: »Der Zorn des Herrn ist entbrannt wider sein Volk, und er streckt seine Hand aus und er schlägt es, so daß die Berge erzittern und ihre Leichen wie Kehricht auf den Straßen liegen. Haben sie uns nicht beschuldigt: ihr vergiftet unsere Brunnen? haben sie nicht unsere Brüder hingeschlachtet zu Tausenden? Haben sie nicht geschrien: ihr nehmt das Blut unserer Kinder zum Opfer beim Passahfeste? Ihr nehmt das Blut und braucht es für euere schwangeren Weiber? haben sie uns nicht ausgewiesen aus ihren Städten und unsere Häuser verbrannt? und unsere Güter geraubt? Müssen wir nicht vogelfrei dahinwandern und viele finden keine Hütte, wie Kain, der seinen Bruder erschlug? Haben sie uns nicht aufs Rad geflochten und den Henkern im Land preisgegeben wie krankes Vieh? nicht unsere Kinder verbrannt, nicht unsere Weiber geschändet und als die Pest kam, nicht schlimmer unter uns gewütet, denn die Pest? Bei alledem hat sich der Zorn des Herrn nicht gewandt. Doch jetzt, jetzt wird er ein Panier aufrichten dem Heidenvolk aus der Ferne und wird ihm pfeifen vom Ende der Erde und siehe, eilends, flugs kommt es. Keilt Matter und kein Strauchelnder ist darunter; nicht gibt es sich dem Schlummer noch dem Schlafe hin; auch springt nicht der Gurt seiner Lenden, noch zerreißt der Riemen seiner Schuhe. Die Hufe seiner Rosse sind wie Kiesel zu achten und seine Räder wie der Sturmwind. Gebrüll hats wie die Löwin und brüllt wie die jungen Löwen und knurrt und packt den Raub und trägt ihn davon und niemand vermag zu retten. Und es wird über Juda dröhnen wie Meeresdröhnen und blickt er auf das Land hin, siehe da ist angsterregende Finsternis und das Licht ward dunkel in dem Gewölbe darüber. Nahet euch, ihr Heiden, um zu hören, und ihr Völker, merket auf! Es höret die Erde, was sie erfüllet,
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