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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf
Autoren: Jakob Wassermann
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der Weltkreis, und alles, was ihm entsproßt. Denn einen Groll hat der Herr auf alle Heiden, er hat sie bestimmt für die Schlachtung und ihre Erschlagenen werden hingeworfen, und ihre Leichen, – aufsteigen soll ihr Gestank, und es sollen die Berge zerfließen von ihrem Blut. Die Sterne sollen zerbröckeln und wie ein Pergamentum soll der Himmel zusammengerollt werden. Aber unsere Trift soll lustig sein, frohlocken soll unsere Steppe und blühen wie die Narzisse. Sie soll blühen, ja blühen und frohlocken, frohlocken und jubeln! Die Herrlichkeit des Libanon wird ihr geschenkt und die Pracht des Karmel. Stärkt die erschlafften Glieder und die wankenden Knie macht fest! Sagt zu denen, die bekümmerten Herzens sind: seid stark! Aufgetan werden die Augen der Blinden und die Ohren der Tauben geöffnet! Dann wird wie ein Hirsch der Lahme springen und jubeln die Zunge des Stummen. Denn seht: ein Mann ist aufgestanden in der kleinasiatischen Stadt Smyrna, das ist der wahre Messias und das Himmelreich ist nah! Ja, ich sehe eure Blicke leuchten und eure Hände beben! Habt ihr ihn nicht rufen hören von den Gestaden des Mittelmeers? Ein neues Erlösungswerk geht ihm voran und Olam ha Tikkun wird erstehn. Das göttliche Wesen hat er allein erkannt, er, Sabbatai Zewi! Sammelt euch, Brüder, richtet euch empor, richtet eure Weiber empor, lehrt eure Kinder seinen Namen aussprechen und eure Waisen tröstet mit seinem Wort! Im Jahre fünftausendvierhundertundacht der Welt begann die Erlösungszeit zu tagen, und in diesem Jahre hat sich Sabbatai Zewi uns offenbart. Wunder über Wunder hat er verrichtet und die Juden des Morgenlandes jauchzen ihm zu.«
    Ein furchtbarer Tumult unterbrach den Redner. Lange schon war die Kunde von dem Ereignis nach Franken gedrungen, aber stets waren es nur dunkle Laute gewesen, geheimnisvolle Andeutungen: von wandernden Mönchen, von wandernden Juden oder von Zigeunern hergetragen. Es war nur das dumpfe Geräusch eines sehr fernen Wetters gewesen, das die Gemüter wohl in nächtlicher Stille und Träumerei zu ergreifen vermag, aber das Licht des Tages machte zweifeln und ungläubig. Zum ersten Male nun war es wie ein Trompetenstoß in die Ohren der Juden gefahren, wie ein heller, schmetternder Schlachtruf, wie ein Klirren von tausend Schildern und Schwertern, ein Auferstehungsschrei. Es wurde leuchtend um ihre Augen, rings herum ward es Tag, das bange Los der Unterdrückung schien dem Ende nahe: Sonne, Freiheit, göttliches Auserwähltsein zu großen Dingen, Glanz und Freudigkeit und verzückte Sehnsucht, – eine wundervolle Erfüllung tausendjähriger Glaubensdienste. In ihre bedrückten Seelen fuhr es wie der Aufruf zu einer neuen Weltordnung; Knaben sahen sich zu Männern geworden, Männer ballten ihre Fäuste und es rieselte ihnen kalt und heiß über den Rücken. Und als der erste Taumel sich gelegt, drängten sie sich um den Fremden, bestürmten ihn um Einzelheiten und lauschten, lauschten. Vergessen war die Stunde der Heimkehr, vergessen die Gebote des Fasttags; die Weiber drängten sich aus ihren Verschlägen und hörten mit erhitzten Wangen zu. Sie sahen ihn in ihrer Phantasie lebendig werden, den geheimnisvollen Propheten von Smyrna, der am hellen Tag der Geschichte wie ein glühendes Meteor hinwandelte und, ergriffen von lurjanischer Mystik, das Ende der Zeitalter herbeizuführen glaubte. Zacharias Naar erzählte, versunken und hingegeben gleich einem Träumenden: wie Sabbatai seinen Leib kasteite und Sommer und Winter, bei Tag oder bei Nacht im Meer badete. Wie sein Leib vom Wasser des Ozeans einen Wohlgeruch erhielt und sein Auge klar davon wurde. Niemals hatte er ein Weib berührt und obwohl er zwei Frauen vermählt worden war, mied er sie und verstieß sie bald. Ernst und einsam war sein Wesen, und er hatte eine schöne Stimme, mit der er die kabbalistischen Verse oder seine eigenen Poesien sang. Das Jahr sechszehnhundertsechsundsechzig bezeichnete er als das messianische Jahr; den Juden sollte es eine neue Herrlichkeit bringen und sie sollten nach Jerusalem zurückkehren. Seine Seele ergab sich jauchzend dem süßen Rausch des Gottesbewußtseins. Man hatte ihn von Smyrna verjagt, aber da brach das glimmende Feuer zur verheerenden Flamme aus: seine Demütigung war seine Größe geworden und seine Verklärung. Er ließ zu Salonichi ein Fest bereiten und vermählte sich in Gegenwart seiner Freunde feierlich mit der heiligen Schrift: Thora, die Himmelstochter, ward mit dem Sohn des
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