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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf
Autoren: Jakob Wassermann
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der Knecht träumte von Freiheit. Kein Tag verging, an dem nicht Kunde von Außerordentlichem eintraf, wäre es nur auch ein geheimnisvolles, deutungsreiches Wort des Messias gewesen. Er steht auf einer Terrasse am Meer, streckt seine Hand aus und spricht: Seht, ich gebe euch heute das Leben und den Tod. So wurde von wandernden Juden berichtet. Sendschreiben liefen durch die Städte; wunderliche Dinge lagen in der Luft.
    Maier Knöcker, der Nathan, der das unerwartete Glück, dessen er teilhaftig geworden, voll Entzücken weitergetragen hatte, traf zuerst auf Mißtrauen, dann auf Verwunderung, dann auf blinden Glauben. Er fand einen begeisterten Apostel in Boruchs Klöß und dieser beredsame Mann erwies sich in der Tat als der beste Anwalt einer so begnadeten Sache. Die Ältesten der Gemeinde kamen zu Rahel, um sie durch Gebete heilig zu sprechen. Am gleichen Abend wurde ein großes Festmahl unter dem Vorsitz des Ober-Rabbis abgehalten, und das Haus des Stammlers wurde als eine fromme Zuflucht erklärt. Aber Rahel selbst blieb finster und verschlossen. Sie wich jedermann aus und hatte es verlernt, Vater und Mutter gerade ins Gesicht zu sehen. Wenn einer länger mit ihr redete, begann sie zu zittern. Ihre Hände waren feucht, ihre Lippen trocken und aufgesprungen, ihre Augen gerötet. Sie konnte in keiner Nacht mehr schlafen; die Finsternis nahm eine purpurne Färbung an, so daß es wie ein Vorhang vor ihren Blicken lag, undurchdringlich und beängstigend. Oft bevor noch der Tag anbrach, erhob sie sich vom Lager und schleppte sich hinauf in die Bodenkammer, um an irgend einer Luke zu kauern und starren Blickes stundenlang zu brüten. Sie freute sich, wenn sie fror; sie wünschte zu frieren, wünschte zu leiden, ein äußerer Schmerz verlieh dem inneren Milderung. Am Sabbat nach der Schul kamen die Weiber zu ihr; aber sie war so bedrückt, daß sie vor den Besucherinnen in lautes Weinen ausbrach. Sie rang die Hände, stöhnte, warf sich zu Boden, fletschte die Zähne, und murmelte Worte ohne Sinn und Klang. Das war ein sehenswertes Schauspiel, eine Bestätigung des Wunders, das mit dieser Jungfrau vorgegangen. Sie brachten Geschenke, doch das Mädchen warf sie ihnen vor die Füße und schalt und drohte fassungslos. Auch viele Männer kamen: Thurathara, Wolf Batsch Seligman Schrenz, Seligman Rumpel, Hirsch und Herz, die Rumpeln, Wolf Bieresel, Joel und David, die Bieresel, Maier Anschel und Itzig Gänßhenker, ja sogar Moses Bock aus Würzburg und Michael bar Abraham aus Markt Erlbach. So schnell hatte sich die Kunde im Lande verbreitet Alle brachten sie Geschenke: Güldene Schleier oder Sternlein oder durchgezogene Sternlein oder Umhänge von Drapd'or oder gestickte von Gold, von goldenen oder silbernen Blumen, Kleider von Samt mit einer Blumenbordüre, einen Mantel von Damast, Schuhe oder Pantoffeln mit gutem oder schlechtem Gold verbrämt, Bänder von schwarzem oder gefärbtem Leder, Kartelsteine oder andere Gehänge, auch Hand- und Leibschnallen, güldene Gürtel und einen Gürtel von Gold, der mit Diamanten besetzt war, Ringe und Ohrgehänge, Handschuhe von Pelz und Halstücher bis auf zwei Gülden Wert.
    Das waren festliche Tage für Maier Knöcker, den Nathan. Mit zitternden Händen tastete er über den Reichtum; nahm die Tücher, faltete sie wieder zusammen, liebkoste die Schuhe und Ringe, legte die Gehänge um seinen Hals und stolzierte im Zimmer damit auf und ab; auch stellte er sich damit vor einen Spiegel, machte Bücklinge, schnitt lächerliche Grimassen und ging dem finsteren Schicksal mit kindischer Heiterkeit entgegen.
    Am Tag Dionysius war die Luft so klar, daß man die Kirchenglocken von Nürnberg vernahm. Ein gelber Schimmer lag auf den Wiesen und der Himmel war mit weißen, feinen, runden Wölkchen marmoriert. Ein Zug jüdischer Spielleute, die von der Domprobster Bamberg verwiesen worden waren, brachte die Nachricht der Messias sei von Smyrna aufgebrochen und käme nach Deutschland, die Gläubigen um sich zu versammeln und an ihrer Spitze ins heilige Land zu ziehen.
    Als Rahel dies vernahm, erwachte sie aus ihrer langen Apathie. In ihr war nur ein Gedanke: daß sie fort sollte aus dem Land, wo der Geliebte wohnte; denn in ihrer heißen und erregten Phantasie war ein Gerücht schon einem Geschehnis gleich. Mit glühenden Augen eilte sie auf die Gassen; niemand beachtete sie heute. Viele schienen in einer Tollheit befangen, wie eine Schar Verschmachtender, denen man feurigen Wein gegeben hat. Kein
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