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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf
Autoren: Jakob Wassermann
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einem Sack verhüllt hatte. Er sah das Judenmädchen am Boden kauern und war so erschrocken über den Anblick, den sie bot, daß er sich bekreuzigte und spornstreichs gegen die Häuser des Orts rannte. Eine Schar von Juden kam ihm entgegen, die zum Schwedenstein wollte, um das Grabmal des schönen Joseph mit Gewalt fortzunehmen, nachdem die Familie beim Schultheiß und beim Friedensrichter mit ihren Bitten abgewiesen worden war. Der Bauer, dessen eines Auge erblindet war, machte den Juden die Mitteilung, daß er eine Hexe am Schwedenstein gesehen habe. Aber jene erkannten schon von weitem die Tochter des Knöckers, und einer lief zurück, um Maier Nathan zu holen. Der Ronhofer Bauer hatte schnell erhorcht, daß die Juden den Schwedenstein berauben wollten; er schwang drohend den Arm, lief fort und alarmierte einen Hornmacher, einen Schneider, einen Goldplätter und zwei Metzger- oder Schlächterburschen, die in der Nähe des Schießangers ihre Verrichtung hatten. Als Maier Knöcker bleich und atemlos aus der Fischergasse kam, stürzten sich Hornschuch, der Kammacher und Federlein, der Schneider, voll Wut auf ihn, während ein paar alte Weiber aus dem Erdgeschoß eines grünen Hauses herauskeiften und ihren Haß gegen das Judengesindel nicht zu zügeln vermochten. Die andern Helden rannten mit dem Ronhofer Bauern zum Schwedenstein und freuten sich baß auf die bevorstehende Prügelei; im Laufen verteilten sie die Opfer unter sich und rechneten aus, daß jeder etwa drei Juden zum Prügeln bekommen würde.
    Es war dunkel geworden: ein milder Abend. Die Sterne blinkten unter den Wolkentüchern hervor; auch der volle Mond stieg im Osten herauf, gerade über den Türmen Nürnbergs. Ein olivenfarbenes Licht ging von ihm aus, während im Westen das finstere Not und das bronzene Gold allmählich verblaßten. Wer sich niederließ auf die Knie oder sich platt auf den Leib legte und aufmerksam hineinsah in das ebene Land, konnte glauben, daß die Erde Atem schöpfe wie ein Mensch, daß das melancholische Frankenland gleichsam die Brust der Erde sei, die sich auf und nieder bewegte in ruhigem Traumschlaf.
    Kaum waren die händelsüchtigen Burschen am Schwedenstein angekommen, als sie erstaunt und bestürzt stillstanden. Der Schelomo Schneiors, der Bürgermeister der Juden, hatte sich seiner Kleider entledigt, und mit einer kurzen Geißel schlug er wütend auf seinen Körper los. Sein Gesicht war so verzerrt, daß es einen widerlichen Anblick bot, und seine dicken, blutroten Lippen schoben sich, Gebete murmelnd, hin und her. Sein Körper zuckte vor Schmerz, und die Rippen quollen heraus unter der magern, verwundeten Haut. Die andern Juden standen totenbleich um ihn her wie Scharwächter und beugten taktmäßig das Knie. Behrman der Levit rief mit einer Stimme, die schrill und unheimlich hinausscholl in den friedlichen Abend der Felder, eine kabbalistische Anrufung: Der König Messias wird erscheinen, und ein auf der Morgenseite befindlicher Stern wird sieben Sterne von der Mitternachtsseite verschlingen, und eine schwarze Feuersäule wird vom Himmel herabhangen sechzig Tage lang. Alsdann werden alle Völker zusammentreten gegen die Sprößlinge Jakobs, und eine große Finsternis wird in der Welt sein, fünfzehn Tage lang.
    Mit einem irren Schrei stürzte Maier Nathan, den seine Feinde endlich losgelassen hatten, in den Kreis, ergriff Rahels Kopf mit beiden Händen, streichelte sie und fragte mit Todesangst in der Stimme, warum sie fort sei und ob sie krank sei. Rahel schüttelte den Kopf.
    Der Schneider Federlein und der Hornmacher hatten ihren Mut eingebüßt und unverrichteter Sache zogen sie mit den andern davon; sie schickten den Ronhofer Bauern zu Herrn Pfarrer Wagenseil, damit er Bericht gebe und sie wegen des Schwedensteins keinerlei Verschulden treffe. Die beiden Schlächterburschen und der Goldplätter, die alle drei sehr gedrückt schienen, wünschten alsbald eine geruhsame Nacht und der Schneider und Herr Hornschuch gingen allein weiter. Am Gänsgraben kam ihnen ein Leiterwagen entgegen, dessen Fuhrmann dem Hornmacher bekannt war, und nun teilte jeder dem andern seine Gedanken mit. Der Fuhrmann wußte befremdliche Dinge zu sagen von Himmelszeichen und vom nahen Ende der Welt. Es sei gut, meinte er, daß es in Nürnberg keine Juden gäbe, denn dort seien die Bürgersleute noch halbwegs zu vernünftigen Dingen zu gebrauchen. Er erzählte beiläufig, daß er am Juden-Bühel in Nürnberg einen großen Stein gesehen habe mit
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