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Die Jaegerin

Die Jaegerin

Titel: Die Jaegerin
Autoren: Brigitte Melzer
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liegen. Dunkelheit senkte sich über sie. Geräusche drangen nur noch dumpf zu ihr vor, verzerrt und vollkommen unkenntlich. Sprachen die Brüder? Brüllten sie sich an? Oder kämpften sie? Alexandra vermochte es nicht zu sagen. Ihr Bewusstsein zog sich mehr und mehr zurück, floh an einen Ort, an dem es keinen Schmerz und keine Angst gab. Sie hieß die Leere willkommen und genoss die friedliche Stille, die sie umfing. Eine Stille, die bald für immer währen würde, wenn es Lucian nicht gelang, den Unendlichen zu besiegen. Lucian! Die Sorge um ihn zerrte an ihr und zog sie unerbittlich in die Wirklichkeit zurück. Blinzelnd verdrängte sie die Benommenheit und richtete sich auf. Lucian kniete wankend auf dem Boden. Der Unendliche stand vor ihm. Er hatte Alexandras Pistole aufgehoben. Verzweifelt versuchte sie sich zu erinnern, ob sie beide Kugeln abgefeuert hatte, doch sie vermochte sich nur eines Schusses zu entsinnen. Zum ersten Mal in ihrem Leben verfluchte sie die doppelläufige Pistole! Hastig sah sie sich nach etwas um, was sie als Waffe benutzen konnte. Da trafen ihre Augen auf das Schwarze Kreuz unter dem Altar. Sie griff danach.
    »Lucian!«
    Von ihrem Ruf alarmiert sah er zu ihr. Bedauern lag in seinen Zügen, als wolle er um Verzeihung bitten, dass er nichts mehr ausrichten konnte. Sie gab dem Kreuz einen Stoß. Sich mehrmals um die eigene Achse drehend schlitterte es ihm entgegen. Der Unendliche richtete die Pistole auf seinen Bruder, legte den Finger auf den Abzug und drückte ab. Lucian warf sich zur Seite. Der Knall hallte ohrenbetäubend in Alexandras Ohren wider. Blut spritzte, als die Kugel Lucians Arm durchschlug. Mit der anderen Hand bekam er das Kreuz zu fassen. Er verzog das Gesicht, als sich das heilige Artefakt in sein Fleisch brannte. Dennoch packte er es, sprang auf und warf sich nach vorne, seinem Bruder entgegen. Mit einem zornigen Schrei rammte er ihm das spitze Ende ins Herz. Rauch stieg zischend empor. Der Unendliche hielt mitten in der Bewegung inne und blickte überrascht an sich herab. Seine Lippen formten lautlos Worte, deren Sinn Alexandra nicht zu erfassen vermochte. Das Entsetzen darüber, was mit ihm geschah, riss den Unglauben aus seinen Zügen.
    »Nein!«, brüllte er.
    Lucian zog das Kreuz zurück. »Du hast genug Leid verursacht«, presste er hervor und stieß noch einmal zu. Das Kreuz in der Brust taumelte der Unendliche zurück. Winzige Flammen schlugen aus seinem Fleisch empor, entzündeten sein Hemd und fraßen sich weiter über den Stoff voran. In blinder Raserei schlug er nach den Flammen und versuchte sie zu ersticken, doch es wollte ihm nicht gelingen. Ungeahnt schnell breitet sich das Feuer weiter aus, kroch über Arme und Beine voran, bis es seinen Leib wie eine glühend rote Aura umgab. Seine Züge zerflossen unter der Hitze, schmolzen wie heißes Wachs und hatten bald nichts mehr mit dem Mann gemein, der er einst gewesen war. Und noch immer brüllte er vor Zorn. Der Geruch von verbranntem Fleisch wallte durch den Raum. Schreiend taumelte er auf Lucian zu und streckte die Arme nach ihm aus. Eine Geste, die ebenso ein Angriff wie ein Ruf nach Hilfe sein konnte. Lucian stieß ihn von sich. Da verlor der Unendliche das Gleichgewicht und stürzte. Er wälzte sich über den Boden, doch die Flammen ließen sich nicht mehr ersticken. Seine Finger schlossen sich um das Kreuz in seiner Brust, aber auch sie verloren ihre Form, waren kaum noch mehr als fleischige Klumpen, die es nicht mehr vermochten, das Kreuz zu greifen. Haut, Muskeln und Fleisch zerrannen, tropften als flüssige rote Masse herab und versickerten langsam zwischen den Bodenplatten. Das Gebrüll des Unendlichen verstummte. Langsam erstarben die Flammen und offenbarten den Blick auf ein verkohltes Skelett.
    Mit steinerner Miene blickte Lucian auf die sterblichen Überreste seines Bruders. Alexandra wäre gerne zu ihm gegangen, doch sie war nicht mehr imstande sich zu bewegen. Sie spürte jeden einzelnen Knochen im Leib und hatte Mühe, zu atmen. Einmal mehr kroch die Schwärze der Bewusstlosigkeit heran. Sie versuchte sie fortzublinzeln und beobachtete, wie Lucian sich herabbeugte und das Kreuz aufhob, das – von den Flammen unversehrt – aus dem Brustkorb des Unendlichen ragte. Er schien den Rauch nicht einmal zu bemerken, der aus seiner Hand aufstieg. Seine Augen waren auf das Skelett seines Bruders gerichtet. Mit einem trockenen Knirschen lösten sich die Knochen, verloren ihren Zusammenhalt und fielen
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