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Die IQ-Kids und die geklaute Intelligenz (German Edition)

Die IQ-Kids und die geklaute Intelligenz (German Edition)

Titel: Die IQ-Kids und die geklaute Intelligenz (German Edition)
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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eine Stunde später kam sein Vater. „Bist du zu Hause, Raggi?“, rief er aus dem Flur.
    „Ja, ich bin im Wohnzimmer!“, rief Raggi zurück und versuchte, ganz normal zu klingen. Sein Vater kam ins Wohnzimmer, immer noch im Mantel und mit dem Umschlag in der Hand. Er drehte ihn hin und her.
    „Hier ist ein Brief von deiner Schule“, sagte er und schaute Raggi mit zusammengekniffenen Augen an. „Weißt du, was das sein könnte?“
    „Nee.“ Raggi zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Das kann nichts Schlimmes sein.“
    „Wenn du meinst.“ Der Vater schaute Raggi einen Moment lang durchdringend an und riss dann den Umschlag auf. Er holte tief Luft, nahm den Brief heraus, fing aber nicht sofort an zu lesen. Stattdessen schloss er die Augen und murmelte leise: „Bitte, bitte, lass es eine gute Nachricht sein.“ Dann schlug er die Augen wieder auf und begann zu lesen. Erst zog sich ein Lächeln über sein Gesicht, und Raggi war sich sicher, dass die Worte „hochverehrter Herr“ ins Schwarze getroffen hatten. Er konnte es kaum erwarten, den Gesichtsausdruck seines Vaters zu sehen, wenn er las, dass Raggi „Ihr Sohn, Herr Ragnar Heimisson“ genannt wurde. Das würde ihm gefallen. Gespannt beobachtete Raggi ihn.
    Es dauerte nicht lange, bis das Lächeln seines Vaters nachließ. Es wurde weniger und weniger, bis es ganz verschwand und sich in ein umgedrehtes Lächeln mit heruntergezogenen Mundwinkeln verwandelte. Raggi spürte einen Stich im Bauch. Stimmte mit dem Brief etwas nicht? Sein Vater schien nicht sehr begeistert zu sein. Raggi beeilte sich, etwas zu sagen, um die Situation zu retten.
    „Ich habe über Geschichte nachgedacht, Papa. Und weißt du, was? Die ist ziemlich beknackt. Nimm zum Beispiel solche Typen wie Kolumbus, ja? Der tut so, als hätte er ein Land entdeckt, obwohl da jede Menge Leute wohnen. Das ist so, als würde ich nach Akureyri fahren und behaupten, ich hätte es entdeckt. Auch wenn ich noch nie dort war, bedeutet das doch nicht, dass Akureyri nicht existiert. Ist das nicht beknackt?“
    Der Vater hob seinen Blick langsam von dem Brief. „Was für ein merkwürdiger Zufall. Das klingt ja genauso wie dieser … wie hat er noch mal unterschrieben? Ach ja. Der hochverehrte Herr Konráð Karlsson. Du weißt bestimmt, wer das ist. Dein Direktor.“ Er starrte Raggi an. „Der Direktor, der dich offenbar als Sekretär eingestellt hat. Irgendwie kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass dieser hochverehrte Herr das selbst geschrieben hat.“
    „Was?“ Das Stechen in Raggis Bauch wurde stärker und verwandelte sich in einen Knoten. „Ich verstehe nicht. Was meinst du? Sekretär? Ich?“ Raggi versuchte, ein unschuldiges Gesicht zu machen. Offensichtlich funktionierte es nicht.
    „Bring mir den richtigen Brief.“ Die Stimme seines Vaters klang äußerst ungehalten, und von seinem Gesicht konnte man ablesen, dass er nicht nur wütend, sondern stocksauer war. „Sofort.“
    Raggi überdachte die Alternativen. Er hatte nicht viel Zeit, denn sein Vater würde ausrasten, wenn er nicht ziemlich schnell etwas tat oder sagte. Deshalb konnte er nicht alle Alternativen zu Ende denken. Beispielsweise musste er sämtliche Alternativen, die mit vorgetäuschten Blinddarmentzündungen oder Herzinfarkten zu tun hatten, ausklammern. Im Grunde hatte er nur zwei Möglichkeiten: seinem Vater den echten Brief aus seiner Hosentasche zu geben oder so schnell wie möglich abzuhauen. Da er um das Sofa herumlaufen musste, um an seinem Vater vorbeizukommen, war diese Möglichkeit ziemlich ungünstig.
    Raggi schob die Hand in die Hosentasche und zog den zusammengefalteten Brief heraus. „Hier. Das war nur ein kleiner Scherz. Ich hätte dir den Brief natürlich gegeben.“ Beschämt blickte er zu seinem Vater.
    „Ja, klar, und Haie in der Badewanne sind nette Spielkameraden“, sagte sein Vater ironisch und riss ihm den Brief aus der Hand. Er faltete ihn auseinander und glättete ihn, bevor er zu lesen begann. Raggi blieb nichts anderes übrig, als ihn schicksalsergeben zu beobachten. Er sah schon die Diagramme und den Schulpsychologen vor sich, als er plötzlich merkte, dass etwas Sonderbares mit seinem Vater geschah. Sein Vater lächelte! Und nun lachte er sogar fröhlich! Raggi rieb sich die Augen und schüttelte den Kopf. Das passte überhaupt nicht. Sein Vater müsste eigentlich die Faust ballen, seine Knöchel müssten weiß werden, und er müsste feuerrot anlaufen. Raggi fielen fast die Augen
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