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Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans

Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans

Titel: Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans
Autoren: Adolf Muschg
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natürlichen Begabungen wie die Japaner.«
      Vielleicht ein topisches Lob, wie dasjenige des Tacitus für die Germanen, in dem er seine Rom-Schelte verbarg – immerhin, es ist keine Fremdenverkehrsprosa, sondern das Produkt einer Erfahrung, die man später von Dejima aus nicht mehr machen konnte. Für die Mijnheers der VOC wurde Japan, was es für die Mehrzahl heute noch ist: just business vor einem exotischen Hintergrund. Der Missionar – solange er keine Waffen für die Richtigkeit seines Glaubens sprechen läßt – sieht mehr vom andern Land als der Händler und tut für beide Seiten mehr. Die Verpflichtung, mit seinen Gastgebern von letzten Dingen zu sprechen, schließt die Chance ein, daß er auch von den Werten des Anderen das Nötige erfährt. Und es kommt vor (ich habe es als Lektor an einer christlichen Universität erlebt), daß ihm dann selbst die Bekehrung nicht mehr als das Nötigste erscheint. Soll die Zivilisierung von Konflikten und die Kultivierung von Interessen fortschreiten, darf der Austausch nicht bei Tee und Tabak beginnen – und bei Computern enden.
       Diese Missionsarbeit zwischen West und Ost ist bei der ersten Berührung nicht gelungen – und Dejima kommt mir auch als eine Art Strafkolonie für ihr Fehlschlagen vor. Die Zukunft verspätete sich für beide Seiten um Jahrhunderte – und nach Japan kam sie, in Reaktion auf den erzwungenen Stillstand, mit Commodore Perrys Schwarzen Schiffen gewaltsam. Nach dem abgebrochenen ersten Lernprozeß im 16. Jahrhundert war inzwischen auch die gegenseitige Unkenntnis solide geworden – fruchtbare Mißverständnisse eingeschlossen. Die Zukunft gehörte jenem Geschäft, für das sich die Holländer auf Dejima beschränken mußten – und offenbar ganz gerne beschränkten. Was die Forscher in ihrem Dienst, was die Deutschen Kaempfer und Siebold an reeller Japan-Kunde nach Hause brachten, verbreitete sich nicht über gelehrte Zirkel hinaus, während anderseits das europäische Know-how, das über sie nach Japan eingesickert war, den Umbruch untergründig vorbereitete – trotz Dejima, und vielleicht doch: im Geiste Dejimas; nämlich mit Restriktionen, die heute für ein großes westliches Publikum Japan so undurchsichtig machen, wie es für die Herren der Vereinigten Ostindischen Compagnie gewesen sein muß.
      Das »Rätsel Japan« in Ehren. Aber vielleicht wäre es für die Japaner kein Unglück gewesen, wenn sie in der Reibung mit den kontinuierlich anwesenden Fremdkörpern gelernt hätten, die eigene Identität weniger exklusiv zu erleben – darüber erlaube ich mir kein Urteil. Ziemlich sicher bin ich dagegen, daß wir auf unserer Seite weniger Mystifikation Japans gut gebrauchen könnten – etwa der japanischen Spiritualität, von der wir dann enttäuscht feststellen, daß sie in Japan kaum noch zu finden sei. Wir hätten dafür auch weniger Angst vor dem Japan nötig, das wir zu sehen glauben, und vor seiner offenbar durch nichts zu bremsenden Produktivität; wir hätten weniger Klischees vom Land der Geishas und der – siehe Koestler – »Automaten«, die jetzt eher »Roboter« heißen. Wir könnten die falschen Souvenirs aus unserem Projektionsladen ausräumen, in denen, auch in den puppenhaften, so viel Gewalt und Abwehr, soviel Beziehungsdelikte stecken wie in jedem kulturellen Kitsch. Hätten wir mit Japan in den vergangenen Jahrhunderten mehr Realität – auch trennende – gemeinsam gehabt, Ihr Fach, die Japanologie, wäre nicht gestern ein Orchideenhaus gewesen und heute ein Pflichtfach für den smarten Managernachwuchs.
      Ich spitze zu, ich beklage: Das sind nun doch wieder Unarten des Literaten, und der Laie entschuldigt sich so japanisch wie ihm möglich, sollte er die ihm gebührende Frageform verlassen und sich in die Toga des Rechthabers geworfen haben. Wenn ich zum Schluß einen Wunsch an Sie, die Japanologen, frei hätte (vielleicht sagen Sie mir ja, daß er längst erfüllt ist), so wäre es eine möglicht vollständige Übersetzung der Berichte, welche die Hofdolmetscher damals von der Berichterstattung der holländischen Delegationen angefertigt haben, wenn diese einmal jährlich, als Pseudo-Daimyos, beim Shogun vorsprachen, um ihm die Weltgeschichte – das heißt: die Geschichte ihrer We lt – zu erklären; denn für ihn müssen das ja Nachrichten von der andern Seite des Mondes gewesen sein. Wie lautet die japanische Lesart dessen, was die Westler für wichtig genug hielten, es in Japan weiterzusagen? Der
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