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Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans

Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans

Titel: Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans
Autoren: Adolf Muschg
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angewiesen. Er ist ihr ausführendes Organ in einem neuen und unbekannten Feld, auf seine Loyalität muß unbedingt Verlaß sein – aber nicht blinder Verlaß. Der Zwischenträger erfüllt seinen Zweck nur, wenn er auf beiden Schultern zu tragen versteht. Er darf nicht nur stehen wie eine Mauer; er muß auch durchlassen wie eine Pforte, deren Weite ihm noch so streng vorgeschrieben sein mag: praktisch bestimmt er sie selbst. Nur als – in Grenzen – Zuwiderhandelnder ist er dem eigenen System nützlich: das heißt, daß es ihn mit ebensoviel Vertrauen wie Mißtrauen traktiert. Seine untergeordnete Stellung steht in einem kapitalen – und für ihn gefährlichen – Mißverhältnis zu
    seinem realen Gewicht.
      Nach jenem Ausstellungsbesuch habe ich mir gewünscht, eine Geschichte des Verrats zwischen den Kulturen lesen oder gar schreiben zu können – des unerläßlichen, ja pflichtschuldigen Verrats, denn der Agent bringt eben nichts in Erfahrung, wenn er nicht etwas von sich verrät. Die Sanktionen, die er riskiert, waren um so höher, je besser er seine Aufgabe erfüllte. Die Beispiele der Dolmetscher Kaempfers im 17. und Siebolds im 19. Jahrhundert sind solche Märtyrergeschichten einer säkularisierten Mission. Ohne die Bereitschaft zum Verboten-Neuen, ohne persönliches Einverständnis mit der Neugier eines buchstäblich wildfremden Menschen und seines unerlaubten Forschungsinteresses hätten wir die wichtigsten Nachrichten über das Japan in der Zeit seiner Abschließung nicht, und damit auch nicht die unerläßliche Grundlagen für Verständnis und Respekt auf Gegenseitigkeit.
      Dejima: ein Ort, dazu geschaffen, die Feindberührung zu verhindern, und zugleich dafür eingerichtet, sie zu ermöglichen. Es mußte Ärgernis in die hermetisch geschlossene Welt kommen; aber wehe denjenigen, durch die es kam.
      Und wie war das mit dem sexuellen Verrat?
      Der Umgang ihrer Frauen ist die empfindlichste Stelle jeder Gesellschaft. Sieger krönen sich mit dem Ritual der Vergewaltigung; wir kennen das Spießrutenlaufen kahlgeschorener Frauen, denen man in Frankreich nach dem Krieg sexuelle Kollaboration vorwarf (und auf die man den Makel der eigenen warf; den intimsten Verrat an der patrie, am Patriarchat). In dieser Hinsicht finde ich das Modell Dejima bemerkenswert. Der Handvoll Agenten der Vereinigten Ostindischen Compagnie (VOC) war es ebenso verboten, ihre Frauen mitzubringen, wie christliche Bücher oder kultische Geräte einzuführen. Als der Opperhoofd Blomhoff (Jan Cock) 1817 mit seiner Familie in Dejima auftauchte, wurde der Anhang umgehend des Landes verwiesen – freilich nicht so umgehend, daß sich der japanische Markt nicht zuvor seine Bilder von der exotischen Kapitänsfrau Titia hätte machen können. Nur darf sie auf dem Stellschirm, den ich gesehen habe, nicht als Gattin erscheinen, sondern als eine unbestimmte, als die holländische Frau mit Häubchen und Spitzenkragen, den Fächer in der Hand statt des Babys im Arm. Immerhin: die japanische Obrigkeit mutete den fremden Männern keinesfalls ein zölibatäres Leben zu und besorgte ihnen Kurtisanen aus Nagasakis Murayama-Viertel. Die Teehäuser dazu waren ebenso sorgfältig ausgewählt wie die Clans der Dolmetscher. Mögliche Folgen dieses Verkehrs wurden in Kauf genommen: so kam Opperhoofd Blomhoff doch wieder zu einem Baby, dieses freilich zu keinem Bild: ich wüßte gern, wie diese frühen Mischlingskinder in Japan gelebt haben. Auch Philipp Franz von Siebold hatte ja etwas wie ein japanisches Familienleben – der Skandal, der sich mit seinem Namen verband, hatte mit der Entwendung ganz anderer Geheimnisse Japans zu tun, aber nichts mit Frau Taki, der Gefährtin über sechs Jahre, und der gemeinsamen Tochter Ine.
      Jedenfalls galt der symbolische Besitz japanischer Frauen den Behörden nicht als Grenzverletzung – den puritanisch konditionierten VOC-Herren müßte das, angesichts aller übrigen Restriktionen, eigentlich kurios vorgekommen sein. Ein Seidenbild zeigt den Geschäftshaushalt im Hause Blomhoff als eher lockere Angelegenheit. Nur einer der rothaarigen Herrn wendet sich ausschließlich den japanischen Partnern zu; der Hausherr sitzt von seiner stehenden Leihfrau garniert, sein Nachbar im roten Frack beschäftigt sich mit der seinen schon recht handgreiflich, während der dritte – im Zylinder – mit dem Teleskop nach einer weiteren Ausschau hält, die gerade durch die Tür eintritt. Hüte, Uhren, Gläser, Tonpfeifen,
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