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Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans

Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans

Titel: Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans
Autoren: Adolf Muschg
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japanischen Zöllnern, auch sie aus nur vier Sippen rekrutiert, streng geprüft zu werden. Ältere Darstellungen zeigen die Gebäude im chinesischen Stil, schließlich lebte die VOC nicht vom Europa-, sondern vom Chinageschäft, das sie dem berührungsscheuen Japan gewinnbringend abgenommen hatte. Erst nach dem Brand von 1798 wehte die Trikolore der Generalstaaten vor einem OpperhoofdHaus im europäischen Stil.
      Die japanischen Beobachter und Künstler ließen sich natürlich keinen Blick auf die Innenseite der fremden Lebensform entgehen und verbreiteten ihre Bilder im ganzen Land: Tischsitten, Kostüme, Werkzeuge, exotische Haustiere. Die Belegschaft des Ghettos war zwischen den Schiffsbewegungen klein, für ein Dutzend Leute boten die 50 x
    300 Meter Raum genug. Japan wollte sie ebensowenig, wie es sie entbehren konnte. Es hatte seinen Abstoßreflex an dieser einen Stelle gebremst. Sie schien kontrollierbar genug, daß man nur so viel hereinließ, wie man brauchte und was zur eigenen Ordnung paßte; dennoch ging von diesem Punkt, nicht nur für die Malerei, der Einbruch einer neuen Perspektive aus, einer Erweiterung des Blicks nicht nur durch das Teleskop, und, nicht nur für die Medizin, eine Revolution der Anatomie.
      Da Japan für die zwei Jahre Seefahrt entfernten Europäer nicht zu erobern war, fand der Austausch für einmal zu den Bedingungen der Entdeckten statt: hier waren sie es, die für die »Ungleichheit« der Verträge sorgten. Es bleibt eine müßige, dennoch spannende Frage, ob sich Japan durch diese Rationierung seines Verkehrs mit dem Rest der Welt nicht selbst benachteiligt hat. Die über 200 Jahre sakoku haben gewiß die Selbstbestimmtheit des japanischen Systems gestärkt. Sie haben ihm aber auch eine einsame Form von Identität aufgedrückt und seine Reaktionsfähigkeit nicht gegen das Neue, aber gegen des Andere spezifisch eingeschränkt. Dejima war ein Ort der Nicht-Kommunikation mit sorgfältig gewählten Ausnahme-Klauseln: etwas wie der Fremdkörper zwischen den Zähnen, auf den die Zunge, da sie ihn nicht beseitigen kann, irritiert, aber zwanghaft zurückkommt. Für ein Organ kulturellen Stoffwechsels war Dejima zu dürftig ausgelegt – aber wenn man weiß (und in Japan hat man es längst vor dem Opiumkrieg gewußt), mit welchem Stoff die nanbanjin handelten, wird man Japan nicht verdenken, daß es Feuerwaffen für das Nötigste hielt, was es von den Barbaren übernehmen mußte – um nicht von ihnen übernommen zu werden.
      In der Berliner Ausstellung habe ich aber auch frühere Bilder gelesen, die von einem generöseren und naiveren Austausch zeugen. Nobunaga, aber auch Hideyoshi führten die jesuitischen Väter durch die Herzkammern ihres Reichs; sie verlangten von ihren Höfen, daß sie zu bestimmten Festen im westlichen Kostüm auftreten sollten. Katholische Gesänge wurden in den Straßen – auch ohne Christentum – fröhlich nachgebetet, sozusagen als die neuesten hits; eine andere, eine selbstbewußte Art, den westlichen lifestyle auszuprobieren, ein japanischer Europäismus, 300 Jahre vor dem Japonismus im Westen. Aber auch die portugiesischen Missionare, für die noch kein Dejima erfunden war, wußten sich auf die erlebten Japonica einen Reim zu machen, den man heute mit Ehrfurcht liest. So hat der schon als Jugendlicher nach Japan gekommene João Rodrigues das chanoyu wahrgenommen:
      »Diese Zusammenkunft zu Tee und Konversation hat keine ausführlichen Gespräche zum Ziel, sondern dient eher dazu, daß die Teilnehmer in ihren Seelen in Frieden und Bescheidenheit die Dinge anschauen, die sie dort erblicken, und so durch eigenes Bemühen die darin enthaltenen Geheimnisse entschlüsseln mögen. Entsprechend ist alles, was bei dieser Zeremonie Verwendung findet, so schlicht, roh, unbearbeitet und einfach, wie die Natur es schuf. (…) Je kostbarer die Gegenstände in sich selbst sind, und je weniger sie es zeigen, desto besser sind sie geeignet.«
      Dies um 1600 – kaum ein Wunder, daß wir diesem Mann auch die erste Bestandsaufnahme der japanischen Sprache verdanken. Die Übersetzungsleistung, die er als Leser fremder Lebenskunst erbrachte, ist noch höher zu schätzen als die Eloge eines andern jesuitischen Missionars:
      »Ihr solltet nicht denken, diese Menschen seien Barbaren, denn abgesehen vom Glauben sind wir, so klug wir uns vorkommen, im Vergleich mit ihnen große Barbaren… Es gibt keine andere Nation auf der Welt mit so vielen Talenten und
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