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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
Autoren: Umberto Eco
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und reich möblierte Zimmer mit Himmelbetten und Schränken voll prächtiger Kleider vorfinden, oder sogar Speisesäle mit gedeckten Tischen ... Und man weiß ja, im letzten Saal erwartet sie dann die schweflige Offenbarung des bösen Geistes, der seine Fallstricke ausgelegt hat.
    Versehentlich stieß er an eine Kokosnuss im Unterbau der Pyramide, das Gebäude geriet aus dem Gleichgewicht, und die borstigen Früchte stürzten ihm lawinenartig entgegen wie Ratten, die still am Boden gelauert hatten (oder wie Fledermäuse, die sich kopfunter an die Balken einer Decke hängen), bereit, an ihm emporzuspringen und sein schweißüberströmtes Gesicht zu beschnuppern.
    Er musste sich vergewissern, dass keine Zauberei im Spiel war: Auf der Reise hatte er gelernt, was man mit den überseeischen Früchten macht. Das Messer wie ein Beil benutzend, öffnete er mit einem Hieb eine Nuss, trank den Saft, zerbrach die Schale und nagte das Manna ab, das sich an der Innenseite verbarg. Es schmeckte so wunderbar süß, dass sich der Eindruck eines Hinterhalts noch verstärkte. Vielleicht, sagte er sich, war er schon der Illusion erlegen und schon in die Falle gegangen: Er labte sich an den Kokosnüssen und biss mit Nagezähnen hinein, schon war er dabei, die Eigenschaften der Nager zu übernehmen, bald würden seine Hände dünn und krumm und krallenbewehrt geworden sein, sein Leib würde sich mit einem grauen Flaum überziehen, sein Rücken würde sich buckeln, und er würde aufgenommen in die sinistre Apotheose der haarigen Bewohner dieses Acheronkahns.
    Aber – und um mit dieser ersten Nacht zu enden – noch eine andere Schreckensmeldung sollte den Erforscher des Schiffs überraschen. Als hätte der Zusammenbruch der Nusspyramide schlafende Kreaturen geweckt, vernahm er plötzlich hinter der Trennwand, die den Vorratsraum vomRest des Unterdecks abteilte, wenn nicht ein Quieken, so doch ein Piepsen und Glucksen und Füßescharren. Mithin gab es wirklich einen Hinterhalt, nächtliche Wesen beratschlagten sich irgendwo im Verborgenen.
    Roberto überlegte, ob er sich, die Büchse im Anschlag, sofort in jenes Armageddon stürzen sollte. Das Herz schlug ihm bis zum Halse, er bezichtigte sich der Feigheit und sagte sich, ob in dieser Nacht oder in einer anderen, früher oder später würde er sich IHNEN stellen müssen. Er suchte nach Ausreden, überlegte hin und her und stieg wieder an Deck, und zum Glück sah er das erste Licht der Morgendämmerung schon wächsern auf dem Metall der Kanonen liegen, die bisher von den Reflexen des Mondlichts umspielt worden waren. Der Tag brach an, sagte er sich erleichtert, dessen Licht zu fliehen er sich geradezu verpflichtet fühlte.
    Gleich einem aus dem Grab Auferstandenen aus Ungarn eilte er über das Deck, um ins Achterkastell zurückzugelangen, stürzte in die Kapitänskajüte, die er nun als die seine betrachtete, verriegelte die Tür, schloss die Ausgänge auf die Galerie, legte die Waffen in Reichweite und rüstete sich zum Schlaf, um nicht die Sonne zu sehen, jene Henkerin, die mit der Axt ihrer Strahlen die Schatten köpft.
    Erregt träumte er seinen Schiffbruch, und er träumte ihn als ein Mann von Geist, der auch in den Träumen und dort vor allem dafür zu sorgen hat, dass die Satzperioden das Gemeinte verschönern, dass die Hervorhebungen es verlebendigen, die geheimnisvollen Verknüpfungen es verdichten, die Betrachtungen es vertiefen, die Emphasen es erheben, die Anspielungen es verschleiern und die Verwandlungen es verfeinern.
    Ich stelle mir vor, dass es zu jener Zeit auf jenen Meeren mehr Schiffe gab, die Schiffbruch erlitten, als solche, die heil nach Hause zurückkehrten; doch wer die Erfahrung zum ersten Mal machte, dem musste sie eine Quelle wiederkehrender Alpträume werden, und die Gewohnheit des schönen Ausschmückens musste sie malerisch wie das Jüngste Gericht erscheinen lassen.
    Seit dem Abend zuvor war die Luft gleichsam an Katarrh erkrankt, und es schien, als ob es dem tränenschweren Auge des Himmels schon nicht mehr gelänge, den Anblick derWellenfläche auszuhalten. Die Malerhand der Natur hatte die Horizontlinie grau gefärbt und umriss in der Ferne unbestimmte Provinzen.
    Roberto, dessen Eingeweide die drohende Eruption schon voraussehen, wirft sich auf sein Lager, das nun von einer zyklopischen Amme gewiegt wird, sinkt in Schlaf zwischen wirren Träumen, die er zu träumen träumt in dem Traum, über den er spricht, und kosmische Epenfülle des Staunens
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