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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
Autoren: Umberto Eco
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unwillkürlich die Büchse angelegt. Er war in Casale, und vor ihm erstreckte sich die spanische Armee: mit dem Lärm ihrer Trosswagen, dem Klirren ihrer Waffen, den Tenorstimmen der Kastilier, dem Geschrei der Neapolitaner, dem rauhen Grunzen der Landsknechte, und im Hintergrund Trompetensignale, die gedämpft herüberklangen, und das dumpfe Krachen von Arkebusen, poff, paff, ta-pumm, wie die Böllerschüsse auf einem Heiligenfest.
    Gleichsam als wäre sein Leben zwischen zwei Belagerungen verlaufen, deren eine das Abbild der anderen war, mit dem einzigen Unterschied, dass jetzt, da der Kreis jener beiden erlebnisreichen Lustren sich schloss, der Fluss zu breit und ebenfalls kreisförmig war – so dass er jeden Ausfall unmöglich machte –, durchlebte Roberto noch einmal die Tage von Casale.

 
    2
    VON DENEN BEGEBENHEITEN
    IM MONFERRAT
     
    Ü ber seine sechzehn Lebensjahre vor jenem Sommer 1630 lässt Roberto nur wenig durchblicken. Episoden aus der Vergangenheit führt er nur an, wenn sie ihm irgendeinen Zusammenhang mit seiner Gegenwart auf der Daphne zu haben scheinen, und der Chronist seiner eigenwilligen Chronik muss zwischen den Zeilen lesen. Hielte man sich an seine Usancen, erschiene er wie ein Autor, der, um die Entlarvung des Mörders hinauszuzögern, dem Leser nur spärliche Hinweise gibt. Daher werde ich mir Indizien zusammenstehlen wie ein Denunziant.
    Die Signori Pozzo di San Patrizio, eine Familie aus kleinem piemontesischen Landadel, besaßen das ausgedehnte Landgut La Griva am Rand des Gebietes von Alessandria (damals Teil des Herzogtums Mailand und folglich spanisches Territorium), aber aus Gründen der politischen Geographie oder auch aus Neigung verstanden sie sich als Vasallen des Marchese von Monferrat. Der Vater – der mit seiner Gattin Französisch sprach, mit den Bauern Dialekt und mit den Fremden Italienisch – redete mit Roberto auf unterschiedliche Weise, je nachdem, ob er ihm einen besonderen Degenstoß beibrachte oder ihn zu einem Ritt über die Felder mitnahm und dann auf die Vögel schimpfte, die ihm die Ernte verdarben. Im übrigen verbrachte der Junge seine Zeit allein, ohne Freunde, indem er von fernen Ländern träumte, wenn er gelangweilt durch die Weinberge strich, von Falkenzucht, wenn er Schwalben jagte, von Kämpfen mit Drachen, wenn er mit den Hunden spielte, und von vergrabenen Schätzen, wenn er die Räume des familieneigenen Schlösschens oder Kastellchens erkundete. Den Anstoß zu diesen Streifzügen der Phantasie gaben ihm die Romane und Ritterepen, die er verstaubt im Südturm vorfand.
    Er war also nicht unbelesen, und er hatte sogar einen Hauslehrer, wenn auch nur in den Wintermonaten. Einen Karmelitermönch, von dem es hieß, er sei im Orient gereist und habe sich dort – wie Robertos Mutter erschauernd und sich bekreuzigend raunte – zum Muselmann machen lassen. Einmal im Jahr kam er mit einem Knecht und vier Mulis, die mit Büchern und anderem Papierkram bepackt waren, und blieb dann drei Monate auf dem Gut. Was er seinem Schüler beibrachte, weiß ich nicht, aber als Roberto nach Paris kam, machte er keine schlechte Figur, und jedenfalls lernte er rasch, was er hörte.
    Von diesem Karmeliter weiß man nur eines sicher, und es ist kein Zufall, dass Roberto darauf anspielt. Eines Tages hatte der alte Pozzo sich beim Degenputzen geschnitten, und sei's, dass die Klinge rostig war, sei's, dass er sich an einer besonders empfindlichen Stelle verletzt hatte, die Wunde schmerzte ihn sehr. Da hatte der Karmeliter den Degen genommen, hatte ihn mit einem Pulver bestreut, das er in einem Döschen bei sich führte, und sofort hatte der alte Pozzo geschworen, es gehe ihm besser. Tatsache ist, dass die Wunde bereits am folgenden Tag zu vernarben begann.
    Der Karmeliter hatte sich über das allseitige Erstaunen gefreut und gesagt, das Geheimnis jener Substanz habe ihm ein Araber enthüllt und es handle sich um ein noch viel wirksameres Mittel als das, welches die christlichen Spagiriker unguentum armarium , Waffensalbe, nannten. Auf die Frage, warum das Pulver nicht auf die Wunde gestreut werden müsse, sondern auf die Klinge, von der sie verursacht worden sei, hatte er gesagt, das eben sei die Wirkungsweise der Natur, zu deren stärksten Kräften die universale Sympathie gehöre, die das Handeln aus der Entfernung lenke. Und hatte hinzugefügt, wenn die Sache schwer zu glauben erscheine, brauche man nur an den Magneten zu denken, der bekanntlich ein Stein sei, der
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