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Die Insel des Mondes

Die Insel des Mondes

Titel: Die Insel des Mondes
Autoren: Beatrix Mannel
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Vielmehr wollte sie mit all diesen Namen im Kopf ins Bett gehen und von ihnen träumen. Sie hatte beschlossen, am nächsten Morgen herauszufinden, wo diese Länder lagen und was sie mit Parfüm zu tun hatten.
    Paula bemerkte jetzt mit Genugtuung, dass der erste Blutegel schon abgefallen war und die anderen auch kurz davor waren. Diese kleine Zwangspause hatte ihr gutgetan, sie fühlte sich nicht mehr so schwach wie vorhin, geradeso, als ob die Blutegel die Zweifel an ihrem Vorhaben mit ausgesogen hätten.
    Das laute Knacken von zerberstendem Holz unter schweren Schritten ließ sie zusammenzucken. Hatten die Reisegefährten ihr Ausbleiben doch endlich bemerkt! Sie vermutete, dass man Morten Wahlström geschickt hatte, den norwegi schen Missionar, denn er war der älteste und freundlichste der drei Männer.
    »Paula, wo in Allerherrgottsnamen stecken Sie? Was für ein Spiel soll das sein?« Und dann leiser: »Verdammte Weibsbilder.« Das war nicht Morten, das war die Stimme von Henri Villeneuve. Ausgerechnet. Die Männer schienen darum gewürfelt haben, wer zurückgehen musste, anders war sein Auftauchen nicht zu erklären. Er hielt sie für eine durch und durch lächerliche Person und sie ihn für einen ungehobelten Klotz. Sie setzte sich aufrechter hin und wappnete sich gegen weitere Unverschämtheiten. Sie wollte ruhig bleiben, konnte es dann aber doch nicht lassen, seine Worte aufzunehmen.
    »Hallo, Villeneuve, schön, dass Sie kommen, auch wenn Sie sich in dem verdammten Weibsbild täuschen. Ich spiele nämlich keinesfalls, sondern ich sitze hier und warte darauf, dass man mir ein Tässchen heiße Schokolade serviert. Danke für Ihren Besuch. Nehmen Sie doch Platz!«
    In diesem Moment stand Villeneuve vor ihr und starrte auf ihren nackten Fuß, von dem gerade noch ein Blutegel abfiel. »Was zum Teufel?« Sein Blick glitt von ihrem Fuß zu dem morastigen Rock und dann weiter nach oben, bis er kopfschüttelnd an ihrem Gesicht hängen blieb.
    Was fiel ihm ein, sie so anzustarren! Für ihn als Arzt war das vielleicht das normalste der Welt – aber nicht für sie. Sie dachte daran, dass ihre Mutter sicher vor Scham im Schlamm versunken wäre, und genau das gab Paula dann die Kraft, weiterzusprechen. »Ich wollte ein Bad nehmen …«, versuchte sie einen Scherz, doch das Blut schoss ihr in den Kopf, und sie war froh um das Dämmerlicht im Dschungel. Dieser Mann brachte immer wieder ihre lächerlichsten Seiten zum Vorschein. Es wunderte sie wirklich, dass man nicht Morten abkommandiert hatte, um sie zu suchen, denn der war überaus kräftig und außerdem durchdrungen vom aller christlichsten Gedanken der Nächstenliebe – einer Idee, die Villeneuve und seinem Assistenten Lázló Kalasz fremd zu sein schien. Auch Noria, die einzige andere Frau in ihrer Reisegruppe, die Paula auf Nosy Be als Übersetzerin angeheuert hatte, kam ihr manchmal merkwürdig gefühllos vor.
    »Wir müssen weiter.« Villeneuve bückte sich zu ihrem nackten Fuß und zog den letzten Blutegel mit einer einzigen zielsicheren und gleichzeitig derart gelangweilten Bewegung ab, dass Paula sich wie eine Närrin vorkam. Vorhin war es unmöglich gewesen, den Egel abzuziehen, versicherte sie sich selbst.
    Villeneuve stand immer noch dicht vor ihr und schüttelte den Kopf so heftig, dass sein Tropenhelm hin und her rutschte.
    »Ich hoffe, Sie haben noch ein paar Ersatzschuhe in Ihren zahlreichen Gepäckstücken. So können Sie nicht herumlaufen, oder wollen Sie ganz Madagaskar mit Ihrem Blut versorgen?«
    »Lassen Sie mein Blut meine Sorge sein.« Was redest du da für einen Unsinn, dachte Paula und beeilte sich hinzuzufügen: »Ich bin selbstverständlich mit allem bestens ausgestattet.«
    Sie stand auf, schob ihn etwas zur Seite und ging hocherhobenen Hauptes an ihm vorbei, immer bemüht, so zu tun, als würde sie nicht humpeln. Er folgte ihr. »Nun, das will ich hoffen, schließlich setzen Sie ja vier Extraträger in Lohn und Brot. Wie viele Abendroben haben Sie eigentlich dabei?«
    Was fiel diesem Villeneuve nur ein? Ständig kritisierte er sie, er war schlimmer als ihre Mutter und Großmutter Josefa zusammen. Während sie noch über eine bissige Antwort nachdachte, stolperte sie über eine Liane, die unter dem Schlamm verborgen war, und klatschte der Länge nach in den Morast. Er hätte sie auffangen können, schoss es ihr noch im Fallen durch den Kopf, doch er wollte es offenbar nicht. Sie hatte das Aufflackern eines Grinsens deutlich gesehen, auch
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