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Die Insel des Mondes

Die Insel des Mondes

Titel: Die Insel des Mondes
Autoren: Beatrix Mannel
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kurz nach der Geburt von Paulas Vater verschwunden war. Zusammen mit ihrem älteren Bru der Johannes-Karl und dem jüngeren Gustav musste Paula jedes Jahr im August für vier Wochen dorthin.
    Und nun gab es da also eine weitere Großmutter. Paula hatte damals nicht gewusst, was sie davon halten sollte. Womöglich war diese Großmutter noch strenger und humorloser als Josefa.
    Nachdenklich hatte sie ihren Blick in die schimmernden Flakons versenkt und sich gefragt, was wohl Josefas Erbe gewesen wäre. Eine Milchkanne, ein Butterfass oder ein Brottuch mit einem in Kreuzstich gestickten Bibelspruch vielleicht, jedenfalls ganz sicher nicht so etwas Unnützes. Denn praktisch sahen diese Glasbehälter nicht aus. Paula war näher an sie herangetreten. Nutzlos mochten sie vielleicht sein, aber sie waren auch wunderschön. Jedem der leeren Flakons entströmte ein Duft, ganz andere Aromen, als in diesem Haus sonst erlaubt waren. Ihre Mutter duldete nicht einmal Rosenöl, dessen Süße sie für orientalisch und deshalb verwerflich erachtete.
    Paula lächelte vor sich hin. Damals hatte sie überhaupt nicht verstanden, warum etwas Orientalisches verwerflich sein sollte. Bis zu diesem besonderen Tag war Paula deshalb nur mit den zarten Blütendüften von Reseda, Veilchen und Lavendel vertraut gewesen.
    »Und wo lebt diese Großmutter Mathilde?«, hatte sie gefragt, ohne ihren Blick von den blauen Flakons zu wenden. »Warum haben wir sie noch nie besucht?«
    »Großmutter Mathilde ist schon vor langer Zeit verstorben, niemand weiß genau, wo oder wann.« Ihre Mutter klang so, als sei das eine Schande, die man ihr angetan hätte, um sie zu kränken. Ihr Vater mischte sich ein, zwirbelte seine linke Bartspitze und lächelte Paula freundlich zu. »Aber vor sechs Jahren erreichte uns ihr Nachlass.«
    Paula hatte sich verwundert zu ihrer Mutter umgedreht. »Warum erbe ich das, Mama?«
    Ihre Mutter zuckte so heftig mit den Achseln, dass die Volants ihrer weiten Ärmel in Unordnung gerieten. Paulas Vater trat näher zu ihr, legte besänftigend die Hand auf die Schulter seiner Frau Florence und erklärte Paula, das Erbe von Mathilde sei nur an sie weitergegangen, weil ihre Mutter es nicht wollte. Er streichelte Florence über den Rücken. »Liebes, Mathilde ist tot, du musst endlich Frieden mit ihr schließen.«
    Paulas Mutter versteifte sich unter seiner Berührung, entwand sich ihm und rang sich dann ein Lächeln ab. »Ludwig, mein lieber Mann, du hast natürlich recht, wie so oft. Also, Paula-Viktoria, lass uns das Unvermeidliche hinter uns bringen. Deine Großmutter Mathilde war eine Deutsche aus dem Elsass, die sich aus unstillbarer Abenteuerlust mit dem französischen Maler Copalle verheiratet hat, um mit ihm nach Madagaskar zu gehen. Sie ist schuld daran, dass ich bei verwilderten Piraten aufwachsen musste und erst sehr spät all das gelernt habe, was einem jungen Mädchen ansteht und was es von der Welt wissen sollte. Du kannst von Glück sagen, dass du eine Mutter hast, die sich nicht die mindesten Versäumnisse in Bezug auf ihre Tochter vorzuwerfen hat.« Jetzt tupfte sich ihre Mutter mit ihrem bestickten Spitzentaschentuch die Lider, als würde sie weinen, aber ihre Augen waren trocken. Paula glaubte zu hören, dass ihre Mutter dabei etwas vor sich hin murmelte, und es klang wie »… und von ihrem Hang zu Skandalen gar nicht erst zu reden.
    Verblüfft betrachtete Paula ihre Mutter, als würde sie sie zum ersten Mal sehen. Skandale! Bei Piraten aufgewachsen! Das war ja viel romantischer als der Roman Sturmhöhe, den sie gerade heimlich nachts verschlungen hatte. Nichts an ihrer völlig korrekten Mutter verriet auch nur eine Spur dieser Abenteuer.
    Und Paula spürte, dass ihre Mutter nicht gewillt war, über ihr früheres Leben zu reden.
    »Kurzum, deine Großmutter war ein ganz und gar unmöglicher Mensch. Und wenn dein Vater nicht darauf bestanden hätte, dann müssten wir heute auch nicht über sie sprechen.« Sie wies mit einer wütenden Handbewegung auf die Flakons. »Ich hätte alles dem Feuer übergeben!«
    »Es ist nicht gut, seine Wurzeln zu durchtrennen, ganz egal, was für welche es auch sein mögen. Man kann sie nicht leugnen, es ist, wie es ist«, brummte ihr Ehemann und machte sich daran, eine Pfeife anzuzünden, obwohl ihm das weitere Klagen seiner Gattin einbringen würde.
    Paula wurde an diesem Tag zwar erst vierzehn Jahre alt, aber sie konnte spüren, dass ihr Vater mit den Wurzeln nicht Großmutter Mathilde
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